Wien hat es sich zum Ziel gesetzt, zur Fahrradmetropole Europas zu werden. Doch während die Zahlen der Radfahrer:innen tatsächlich Jahr für Jahr in die Höhe schnellen, stellen sich grundlegende Fragen, die es bei der Umsetzung dieses Vorhabens zu berücksichtigen gilt:
Inwiefern kann die aktuelle Infrastruktur der Stadt effektiv zur Gestaltung neuer Radwege genutzt werden, wie weit ließen sich die bisherigen Bauvorhaben bereits in die Tat umsetzen und wo hakt es noch? Der wachsende Radverkehr in Wien stellt die Hauptstadt Österreichs vor neue Herausforderungen und bedarf einer echten Verkehrswende. Wie wird Wien diese Herausforderung anpacken?
Zahlen und Fakten - Fahrradfahrer:innen in Wien
2023 wurden in Wien wieder mehr Radfahrer:innen an den Dauerzählstellen der Stadt erfasst – und das nun schon im sechsten Jahr in Folge. Insgesamt wurden im letzten Jahr fast 12 Millionen Radfahrer:innen an 18 verschiedenen Messpunkten erfasst, was eine Steigerung von drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet.
Besonders auffällig war der Anstieg in der Operngasse: Hier wurden über 1,32 Millionen Radfahrer:innen registriert, was den bisherigen Höchstwert von 2019 (1,27 Millionen) übertrifft. Im Vergleich zu 2022 legten die Zahlen in der Operngasse um 13 Prozent zu. Bereits am 25. September wurde die Millionengrenze geknackt – so früh wie noch nie seit Beginn der Zählungen im Jahr 2013.
Konstant hoch bleiben die Zahlen an den Zählstellen Praterstern und Praterbrücke, wo jeweils rund eine Million Radfahrer:innen erfasst wurden.
Und auch am Friedrich-Engels-Platz gab es einen deutlichen Anstieg: Erstmals wurden hier über 200.000 Fahradfahrer:innen gezählt.
Diese stetig steigenden Zahlen von Radfahrer:innen in Wien verdeutlichen einerseits, wie bereit die Stadt dazu ist, den Weg zur neuen Fahrradhauptstadt Europas zu beschreiten, andererseits aber auch, wie dringend der Ausbau wichtiger Radwege in der Stadt ist.
Wiens Radwegeausbau 2022
Im Jahr 2022 hat Wien beim Ausbau der Radwege richtig Gas gegeben und die größte Radoffensive in der Stadtgeschichte gestartet.
Zum ersten Mal wurden über 26 Millionen Euro in Radwege investiert – fünfmal mehr als zuvor – und so viele Projekte wie nie zuvor umgesetzt. Ganze 55 Radfahrprojekte wurden 2022 realisiert oder begonnen– und dass sogar obwohl ursprünglich nur 44 Projekte vorgesehen waren (Mehr dazu später).
Ein wichtiger Punkt dabei war nicht nur die Ausweitung, sondern auch die Verbesserung der Qualität der Radwege, denn Wien legt großen Wert darauf, eine komfortable und moderne Radinfrastruktur zu schaffen. Wo es möglich war, wurden 2022 also baulich getrennte Radwege angelegt und Straßen fahrradfreundlicher gestaltet. Auch Mehrzweckstreifen am Fahrbahnrand gab es infolgedessen bei den neuen Projekten nicht mehr – stattdessen wurde auf Wege gesetzt, die alleine für Fahrradfahrer:innen gedacht sind. Zu den Qualitätsverbesserungen zählen zudem breitere Radwege, wie sie auf der Lassallestraße entstanden oder in der Kleinen Sperlgasse fertiggestellt wurden, um den Radfahrer:innen mehr Platz und Sicherheit bieten.
Analyse der Pläne 2022
Die Wiener SPÖ erklärte stolz, dass Wien mit seinen ambitionierten Plänen zur Fahrradhauptstadt Europas geworden sei, und hob Ende 2022 die 17 Kilometer neu gebaute Radinfrastruktur im Hauptradverkehrsnetz hervor.
Seine Aussagen stimmen jedoch laut dem offiziellen Bauprogramm Radverkehrsanlagen 2022, auf dem diese Analyse basiert, nicht ganz.
Mit Stand vom 20. Januar 2023 sind nämlich von den 55 geplanten Projekten im Hauptradverkehrsnetz erst 24 abgeschlossen worden, 26 waren noch im Bau und 5 befanden sich in der Planungsphase. Von den angekündigten 17 Kilometern neuer Radinfrastruktur wurden nur 6,6 Kilometer fertig, und lediglich 3,5 Kilometer davon sind wirklich neue Strecken.
Zu behaupten, die erwähnten 17 Kilometer bestünden aus rein „neuer Radinfrastruktur” ist daher etwas irreführend, da etwa 40 Prozent der Projekte lediglich bestehende Anlagen verbessern. Das kann beispielsweise bedeuten, dass ein alter Mehrzweckstreifen durch einen Radweg ersetzt wurde oder teils auch nur die Wartefläche vor einer Ampel für Radfahrer:innen vergrößert wurde.
Außerdem zählt die SPÖ Wien auch Fahrbahnmarkierungen zur Radinfrastruktur. Markierungen allein sind jedoch keine wirkliche Infrastruktur, und auch das Aufmalen von neuen Linien als Bauprojekt zu betiteln ist irreführend.
Positiv ist zu erwähnen, dass im Jahr 2022 zu den 44 geplanten Projekten noch 11 weitere ins Bauprogramm aufgenommen wurden. Jedoch handelt es sich bei den angeblichen 55 Radwegeprojekten nicht nur um Projekte zum Anlegen neuer Radwege, sondern auch verschiedene Maßnahmen rund um den Radverkehr werden hier dazugezählt. Zu diesen Projekten gehören unter anderem dieÖffnung von Einbahnstraßen, fahrradfreundliche Straßen oder Radverkehr auf Busspuren.
Abschließender Überblick: Im Jahr 2022 wurden 3,2 Kilometer Radwege fertiggestellt, wovon insgesamt 1,7 Kilometer komplett neu angelegt wurden.
Der Pfad zur Fahrradhauptstadt?!
Um den Radverkehr in der Stadt zu steigern und somit einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, wurde bereits 2013 das Ziel formuliert, den Anteil der Radfahrenden bis 2015 auf 10 Prozent zu verdoppeln. Leider wurde dieses Ziel auch bis 2021 nicht erreicht.
Auch die Projekte aus 2022 umfassten wie zuvor erwähnt größtenteils nur kleinere Verbesserungen an bestehenden Radwegen.
Diese kleinen Ausbesserungen tragen zwar durchaus zu einem angenehmeren Radfahrklima in der Stadt bei, sinnvoller wäre es jedoch, ein durchgängiges Netz an Radwegen zu schaffen, das es den Menschen ermöglicht, sicher und bequem mit dem Rad unterwegs zu sein. Besonders für Kinder oder ungeübte Radfahrer sind Lücken im Netz oft ein großes Hindernis. So ist der längste, 2022 fertiggestellte, sichere Radwegabschnitt in Pötzleinsdorf beispielsweise leider nicht an das restliche Radwegenetz angebunden. Lücken wie diese erschweren es, den Radverkehrsanteil signifikant zu erhöhen.
Die aktuellen Pläne 2024
In Wien wird das Radwegenetz auch dieses Jahr weiter ausgebaut. Insgesamt starten 46 neue Projekte mit fast 20 Kilometern Länge. Noch dieses Jahr soll es möglich sein, auf einer baulich getrennten Strecke vom Gürtel bis zum Meiselmarkt zu radeln. Am Getreidemarkt wird zudem eine bedeutende Lücke geschlossen.
Es wird in vielen Bezirken an den Radwegen gearbeitet, wobei der Schwerpunkt nun auf dem Bau und weniger auf dem Markieren von Wegen liegt. Über 80 Prozent der neuen Strecken sind physisch vom Autoverkehr getrennt; hinzu kommen spezielle Fahrradstraßen. Klassische Radfahrstreifen werden aus Sicherheitsgründen kaum noch umgesetzt, so Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ). Insgesamt werden rund 25 Millionen Euro in die neuen Radinfrastrukturprojekte investiert.
Zwischen 2024 und 2026 entsteht außerdem schrittweise eine vier Kilometer lange Verbindung vom Neubaugürtel durch den 15. Bezirk bis zur Pachmanngasse im 14. Bezirk und auch in Simmering wird gebaut: Dort entsteht auf der Rinnböckstraße ein 1,5 Kilometer langer Radweg in beide Richtungen, der eine grüne Verbindung parallel zur Simmeringer Hauptstraße bietet. In Hernals werden 850 Meter baulich getrennter Radwege auf der Alszeile errichtet. Auch die Beseitigung einer Gefahrenstelle im Radwegnetz am Getreidemarkt im ersten Bezirk gehört zu den Projekten. Dort entsteht nun ein neuer, baulich getrennter Einrichtungsradweg, der die Sicherheit der Radfahrer verbessert und den Zugang zur 2er-Linie erleichtert.
Platz für neue Radwege
Um die neuen Radwege im Straßengeflecht unterzubringen, greift die Stadt größtenteils/vor allem auf den Platz ehemaliger Parkplätze oder Fahrspuren für Autos zurück.
Denn im Jahr 2022 führte Wien eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung ein, wodurch die gesamte Stadt zu einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone wurde.
Dadurch kann die Stadt die frei gewordenen Flächen für den Ausbau der Radwege nutzen, da viele Autobesitzer:innen ihre Fahrzeuge nun entweder auf Privatgrundstücken parkten oder sie aus der Stadt brachten.
Eine weitere Maßnahme im Rahmen der Wiener Radweg-Offensive ist es, Straßen zu Einbahnstraßen umzuwandeln und den frei gewordenen Platz für Radwege zu nutzen. So wird es bald auch in der Mariahilfer Straße geschehen, die bereits in weiten Teilen zur Fußgängerzone umgestaltet wurde und jetzt mit einer Einbahnstraße verkehrsberuhigt wird.
Wien nutzt dabei eine clevere Strategie: Baustellen gehören in Wien zum Alltag und verursachen oft Lärm und Verzögerungen. Gleichzeitig sind sie ein sichtbares Zeichen dafür, dass die Stadt sich verändert und moderner wird, denn Immer wenn Bauarbeiten an einer Straße nötig sind –, sei es für neue Wasser- oder Wärmeleitungen oder zur Renovierung von Straßenbahnen –, wird gleichzeitig die Gelegenheit genutzt, um die Straße umweltfreundlich umzugestalten. Das hat den Vorteil, dass die Anzahl an Baustellen reduziert wird, was sowohl Steuergelder als auch die Nerven der Bevölkerung schont.
Fazit
Es gibt noch viel zu tun, um Wien wirklich zu einer fahrradfreundlichen Stadt zu machen. Zwar gibt es Radfahrkurse für Jung und Alt, doch fehlen immer noch ausreichend sichere Radwege, auf denen auch unerfahrene Radfahrer problemlos unterwegs sein können. Nur wenige Eltern trauen ihren Kindern das unbegleitete Radfahren zu.
Ein Blick auf andere Städte zeigt, wie es gehen kann. Utrecht ist z.B. ein Vorbild für fahrradfreundliche Städte, und auch Paris hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Dort werden bis 2026 stolze 250 Millionen Euro in den Ausbau der Radwege investiert, mit dem Ziel, das Fahrrad als alltägliches Verkehrsmittel zu etablieren. Dabei sollen insgesamt 182 Kilometer an Radwegen errichtet werden.
Auch Wien hat das Potenzial, die Bedingungen für Radfahrer deutlich zu verbessern, doch an der Umsetzung hapert es bisher noch etwas.
Ob und wie sich die Pläne der österreichischen Hauptstadt im Jahr 2024 umsetzen ließen, werden wir Anfang nächsten Jahres erfahren.
- https://www.fahrradwien.at/2024/03/25/jetzt-in-zahlen-radfahren-liegt-auch-2023-im-trend/
- https://presse.wien.gv.at/presse/2023/01/15/sima-pipal-leixner-2022-war-rekordjahr-fuer-radwegeausbau-megaprogramm-fuer-2023-auf-schiene
- https://www.fahrradwien.at/radwegoffensive-2023/
- https://www.profil.at/oesterreich/wien-will-eine-radfahrer-stadt-werden-wieder-einmal/402825556
- https://radkompetenz.at/10393/das-neue-radwege-bauprogramm-in-wien/