Stell dir vor, deine Heimatstadt wäre nicht mehr von Autolärm dominiert, sondern vom leisen Surren von Fahrradreifen. Stell dir vor, Kinder könnten sicher und einfach zur Schule radeln, und du würdest durch saubere Luft zur Arbeit fahren, anstatt im Stau zu stehen. Klingt utopisch? Einige Städte machen es vor und zeigen, wie urbane Mobilität auch aussehen kann: Weniger Autos, mehr Platz für Menschen – und natürlich für mehr Fahrräder.
Was zeichnet eine Fahrradstadt aus?
Eine Fahrradstadt ist ein Ort, an dem das Fahrrad eine besonders wichtige Rolle spielt. Das liegt entweder daran, dass viele Menschen einen großen Teil ihrer täglichen Wege – sei es zur Arbeit, zum Einkaufen oder zur Schule – mit dem Rad zurücklegen, oder weil die Stadt eine gute Infrastruktur für Radfahrer bietet. Oft greifen auch Touristen auf Fahrräder zurück, um die Stadt zu erkunden, und nutzen sie für ihre Sightseeing-Touren. In Städten wie Amsterdam, Kopenhagen oder Utrecht gehört das Radfahren praktisch dazu, wenn man die Stadt besucht.
Der Copenhagenize Index - Fahrradfreundlichkeit weltweit bewerten
Der Copenhagenize Index ist das bekannteste Ranking, wenn es darum geht, wie fahrradfreundlich Städte auf der ganzen Welt sind. Im Zuge dessen wird seit 2011 alle zwei Jahre bewertet, welche Städte besonders radfahrerfreundlich sind. Gemessen werden hierbei unter anderem Kriterien wie Sicherheit, die Anzahl der Radwege und die Unterstützung des Radverkehrs. Besonders die Niederlande, Skandinavien und Frankreich sind dabei stark vertreten.
Vor allem Kopenhagen und Amsterdam landen immer wieder ganz oben auf der Liste und gelten als die fahrradfreundlichsten Städte der Welt.
Auch eine deutsche Stadt hat es im aktuellen Ranking fast auf Platz 10 geschafft.
Die fahrradfreundlichsten Städte Europas
- Platz 10: Helsinki: Seit einigen Jahren verbessert Helsinki seine Radinfrastruktur stetig, unter anderem dadurch, dass Fahrräder seit 2018 kostenlos in öffentlichen Zügen mitgenommen werden können. Inzwischen bietet die Stadt über 1.300 Kilometer Radwege und hat den viel befahrenen Boulevard Hämeentie fahrradfreundlicher gestaltet. Besonders hilfreich in einer Stadt mit viel Schnee: Die Radwege werden im Winter immer besser geräumt. Laut Umfragen fühlen sich 74 Prozent der Bewohner:innen beim Radfahren sicher.
- Platz 9: Wien: Die Stadt Wien fördert seinen Radverkehr unter anderem durch den kostenlosen Verleih von Lastenrädern, Tausende neue Fahrradparkplätze und komfortable Radwege. Die Kampagne #warumfährstDUnicht? wirbt zusätzlich für mehr Menschen auf dem Rad. Was eine höhere Platzierung bisher noch verhindert: Manchmal müssen sich Radfahrer die Wege noch mit Bussen oder Taxis teilen.
- Platz 8: Paris: Die Hauptstadt Frankreichs wird dank der grünen Projekte von Bürgermeisterin Anne Hidalgo schon seit Jahren als Vorreiter beim Wandel hin zu umweltfreundlicher Mobilität genannt. Im Copenhagenize Ranking konnte Paris sich in den vergangenen Jahren stetig verbessern und ist zuletzt von Platz 13 auf Platz 8 geklettert. Dazu tragen das erfolgreiche „Vélib“-Bike-Sharing-System sowie Anreize für Lastenfahrräder, autofreie Tage und der kontinuierliche Ausbau der Radwege bei. Es gibt aber noch Baustellen, etwa bei den Fahrradparkplätzen und den Radwegen, die manchmal unübersichtlich sind und für beide Fahrtrichtungen genutzt werden müssen.
- Platz 7: Oslo: Oslo hat den größten Sprung im aktuellen Copenhagenize Index gemacht: Von Platz 19 im letzten Jahr auf Platz 7. Das liegt vor allem am städtischen Fahrradplan, der im Zeitraum von 2015-2025 Mobilität in Oslo nachhaltig zu verbessern. So sind schon seit 2017 Autos auf ganzen 1,3 km² im Zentrum der Stadt verbannt und tausende Parkplätze wurden in Fahrrad- und Fußwege umgewandelt. Zusätzlich gibt es finanzielle Unterstützung für den Kauf von Lastenrädern und selbst im verschneiten Winter bleiben 400 städtische Fahrräder mit Winterreifen problemlos in Betrieb.
- Platz 6: Bordeaux: Die Stadt steckte in den vergangenen Jahren viel Mühe und Geld in den Radverkehr: Beispiele sind die Sperrung der historischen Brücke Pont de Pierre für Autos, 200 E-Bikes für städtische Mitarbeiter und 100 neue Abstellplätze für Lastenräder.
Allerdings gibt es auch hier noch Verbesserungspotential: Von den Radwegen in der Stadt sind bisher nämlich nur 35 Kilometer für Autos gesperrt, während über 100 Kilometer lediglich durch farbige Markierungen gekennzeichnet sind und den durchgängigen Fahrradverkehr somit verkomplizieren.
- Platz 5: Straßburg: Die Stadt im Elsass ist die fahrradfreundlichste in Frankreich: 16 Prozent der Einwohner pendeln hier mit dem Fahrrad zur Arbeit und Bürgerinitiativen haben dafür gesorgt, dass Autos in einigen Bereichen weniger Platz bekommen – zum Beispiel an den Docks „Les Quais“ und auf der historischen Grande Ile. Weiteren Projekten steht bislang größtenteils eine nicht ausreichende Finanzierung im Wege.
- Platz 4: Antwerpen: Antwerpen arbeitet eifrig daran, immer mehr Fahrradabstellplätze zu schaffen und das Radwegenetz bis ins Umland auszubauen. Zusätzlich gilt auf 95 Prozent der städtischen Straßen ein Tempolimit von 30 km/h, was die Sicherheit für Radfahrer:innen verbessert. Aber es gibt noch einiges zu tun: Schwere Unfälle mit LKWs und Autos zeigen, dass weitere Investitionen in die Infrastruktur nötig sind.
- Platz 3: Utrecht: In Utrecht sind Fahrräder allgegenwärtig, aber die Stadt will noch mehr: Bis 2030 soll die Zahl der mit dem Fahrrad zurückgelegten Arbeitswege verdoppelt werden. Dafür investiert Utrecht in „Schnellspuren“ für E-Bikes, smarte Verkehrsleitsysteme und jede Menge Fahrradparkplätze. Tatsächlich entsteht hier momentan das größte Fahrradparkhaus der Welt, das nach Vollendung Platz für 22.000 Räder bieten soll. Rund um den Hauptbahnhof gibt es bereits jetzt schon 33.000 Abstellplätze. Auch Private Investoren beteiligen sich an der Fahrrad-Infrastruktur.
Von Neuankömmlingen bemängelt werden allerdings Neuankömmlinge die teils unübersichtlichen Radwege in Utrecht.
- Platz 2: Amsterdam: Mit einem Aktionsplan möchte Amsterdam die Parksituation für Fahrräder und die bestehende Infrastruktur weiter verbessern. Ein wichtiger Punkt dabei sind breiter gebaute Radwege, um Überholmanöver sicherer zu gestalten. Bis 2025 sollen außerdem 11.000 Autoparkplätze in Fahrradabstellplätze umgewandelt werden und auch eine neue Brücke für Fußgänger und Radfahrer ist geplant und Mopeds sollen aus der Innenstadt von den Radwegen auf die Straße verbannt werden. Dank all dieser Maßnahmen hat Amsterdam sich im Copenhagenize Index nach Rang drei im letzten Jahr wieder den zweiten Platz zurückerobert.
- Platz 1: Kopenhagen: Bereits seit 2015 führte die dänische Hauptstadt das Ranking kontinuierlich an und auch 2024 bleibt Kopenhagen die fahrradfreundlichste Stadt der Welt. Pro Einwohner investiert die Stadt im Schnitt 40 Euro in die Fahrrad-Infrastruktur. Dazu gehören neue Fahrradbrücken, 167 Kilometer zusätzliche Radwege bis ins Umland, Beleuchtung, Schilder und Reparaturstationen. Und die Arbeit zahlt sich aus: Hier werden ganze 62 Prozent der Arbeits- und Schulwege mit dem Fahrrad zurückgelegt.
Ob sich Kopenhagen auch in den folgenden Jahren seinen Vorsprung bewahren kann, bleibt abzuwarten, denn auch hier sind Investitionen in die Infrastruktur im Zuge staatlicher Sparmaßnahmen schwieriger geworden.
Plätze 11 bis 20 gehen an die Städte Bremen, Bogotá, Barcelona, Ljubljana, Berlin, Tokio, Taipei, Montreal, Vancouver und Hamburg.
Zusammengefasst: Radfahren – die positiven Aspekte
Radfahren reduziert Feinstaub, Abgase und Lärm und schützt Grünflächen, doch es bietet noch viel mehr als einen Beitrag zum Klimaschutz, denn es kommt auch unserer Gesundheit zugute:
Menschen, die mit dem Rad zur Arbeit fahren, sind jede Woche bis zu zwei Stunden länger aktiv als Autofahrer. Dadurch sinkt ihr Risiko, vorzeitig zu sterben um 30 Prozent und die Lebenserwartung wird um etwa 5-6 Jahre erhöht.
Auch die Wirtschaft profitiert: Regelmäßiges Radfahren spart pro Person bis zu 1.300 Euro an Gesundheitskosten im Jahr. Zusätzlich fallen weniger Gesundheitskosten durch geringere Luft- und Lärmbelastung an.
Weiterhin ist die Fahrrad-Infrastruktur ist im Vergleich zum Autoverkehr günstiger, es entstehen Arbeitsplätze in der Fahrradbranche und der Fahrradtourismus bringt besonders dem ländlichen Raum wirtschaftliche Vorteile. Die Kosten der Klimakrise in Österreich beispielsweise liegen derzeit bei rund 2,3 Milliarden Euro jährlich, die von der Bevölkerung getragen werden müssen.
Sind Fahrradstädte in Deutschland möglich und sinnvoll?
In Deutschland sieht es mit dem Verkehr und dem Klima bekanntlich eher schlecht aus: 2023 hat sich beim CO2-Ausstoß im Verkehrssektor kaum etwas getan, und die Klimaziele wurden deutlich verfehlt. Eine Studie vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI zeigt jedoch, dass der Ausbau des Radverkehrs eine deutliche Verbesserung bringen könnte:
Laut den Forscher:innen könnte der CO2-Ausstoß in kürzeren Entfernungen bis 2035 um 34 Prozent oder 19 Millionen Tonnen reduziert werden. Dafür müsste der Anteil der Strecken, die mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, allerdings verdreifacht werden – von derzeit 13 auf 45 Prozent bei Wegen bis 30 Kilometer.
Das geht aber natürlich nur, wenn es bis dahin auch eine richtig gute Infrastruktur für Radfahrer:innen gibt.