Atomaustieg – Eine kurze Geschichte von fast allem

April 2023
Copyright: Markus Distelrath auf Pixabay

Und plötzlich Atomfrei – der 15. April 2023 ist ein historischer Tag in Deutschland, denn an diesem Tag werden die letzten drei aktiven Atomkraftwerke des Landes, “Isar 2” in Bayern, “Neckarwestheim” in Baden-Württemberg und “Emsland” in Niedersachsen endgültig vom Netz genommen.

Die Entscheidung zur Abschaltung dieser Anlagen ist das Ergebnis eines langen und kontroversen Diskussionsprozesses, der bis in die 1970er-Jahre zurückreicht. Wir sehen uns diese Entwicklung genauer an!

Geschichte der Atomkraft

Die Atomkraft in Deutschland hat ihren Ursprung in den 1950er-Jahren, als das Land nach Möglichkeiten suchte, seine Energieversorgung zu diversifizieren. Die Atomkraft galt damals als vielversprechende und effiziente Alternative zu fossilen Brennstoffen wie Kohle und Öl. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurden zahlreiche Atomkraftwerke gebaut, um den wachsenden Energiebedarf Deutschlands zu decken.

Seit den 1970er-Jahren wurde die Atomkraft zunehmend umstritten. Vor allem nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahr 1986 und der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 wurden die Risiken der Atomkraft immer deutlicher. Auch die Probleme der Endlagerung von radioaktiven Abfällen und die Gefahr von Terroranschlägen auf Atomkraftwerke trugen zur erstarkenden öffentlichen Ablehnung der Atomkraft bei.

Die politischen Diskussionen über die Zukunft der Atomkraft in Deutschland führten schließlich zur Verabschiedung des Atomkonsenses im Jahr 2000. Dieser sah vor, dass die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke begrenzt und schrittweise reduziert werden. Allerdings wurde dieser Konsens von der damaligen Regierung im Jahr 2010 aufgehoben, was zu massiven Protesten führte.

Atomausstieg

Nach der Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011 wurde der Atomausstieg erneut kontrovers diskutiert. Im Jahr 2011 beschloss die Regierung, alle Atomkraftwerke in Deutschland bis spätestens 2022 abzuschalten. Diese Frist wurde von der Bundesregierung bis zum April 2023 verlängert, um die Stromversorgung durch Kernkraftwerke als Notfallreserve weiter nutzen zu können um so die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Laufende Kraftwerke abschalten?

Einerseits ist es wichtig, den Ausstoß von Treibhausgasen schnellstmöglich zu reduzieren, um den Klimawandel zu bekämpfen – deshalb kann es auch sinnvoll sein, es Kraftwerk weiterlaufen zu lassen bis es durch eine klimafreundliche Energiequelle ersetzt werden kann, wenn es bereits in Betrieb ist und eine große Menge an Energie produziert.

Klimaschützer in ganz Deutschland begrüßen die Abschaltung der Atomkraftwerke und sehen darin einen wichtigen Schritt hin zu einer nachhaltigeren und sichereren Energieversorgung. Allerdings kritisieren manche, dass der Atomausstieg nicht schnell genug vorangeht und Deutschland immer noch zu stark von fossilen Brennstoffen abhängig ist.

Im Herbst 2022 äußerte sich Greta Thunberg kritisch zur geplanten Abschaltung deutscher AKWs. Sie befürchtete, dass dadurch mehr Kohleenergie genutzt wird und damit der Klimawandel verschärft wird. Stattdessen forderte sie den Ausbau erneuerbarer Energien und eine schnellere Energiewende.

Der “richtige” Umgang mit bereits laufenden Kraftwerken ist im Einzelfall zu bewerten, denn es sind vielen Faktoren zu beachten, wie zum Beispiel das Alter des Kraftwerks, dem Umfang seiner Emissionen, den Sicherheitsstandards eines Landes und dem Fortschritt der Energiewende in der Region.

Entscheidungsfaktoren

  • Alter des Kraftwerks

    Wenn ein Kraftwerk bereits älter ist und nicht mehr dem neuesten Sicherheitsstandard entspricht, kann es aufgrund der höheren Risiken für Umwelt und Gesundheit sinnvoll sein, es so schnell wie möglich abzuschalten. Ein Diskussionspunkt bei der Abschaltung der deutschen AKWs war, dass gerade diese sich noch in relativ gutem Zustand befinden und teilweise erheblich höhere Sicherheitsstandards erfüllen, als andere aktive Kraftwerke in Europa.

  • Umfang der Emissionen

    Wenn ein Kraftwerk sehr hohe Emissionswerte hat und dadurch einen erheblichen Beitrag zum Klimawandel leistet, kann es wichtig sein, dieses so schnell wie möglich abzuschalten. Hier muss sorgfältig abgewogen werden, welche Kraftwerke bereits laufen und aus welchen Quellen die Energie sonst bezogen werden müsste – ein laufendes Atomkraftwerk stößt erheblich weniger Emissionen aus, als zum Beispiel ein Kohlekraftwerk.

  • Fortschritt der Energiewende

    Wenn die Region, in der das Kraftwerk sich befindet, bereits weit fortgeschritten in der Umstellung auf erneuerbare Energien ist, kann es sinnvoll sein, das Kraftwerk so schnell wie möglich abzuschalten, um sich voll auf den Ausbau und die Nutzung der vorhandenen erneuerbaren Energien zu konzentrieren.

  • Bedarf an Energie

    Wenn ein Kraftwerk eine wichtige Rolle bei der Versorgung der Region mit Energie spielt und es noch keine alternativen Energiequellen gibt, die den Bedarf decken können, kann es sinnvoll sein, das Kraftwerk weiterlaufen zu lassen, bis geeignete Ersatzlösungen gefunden wurden.




Atomkraftwerke (wie übrigens auch fossile Kraftwerke) bergen Risiken für Umwelt und Gesundheit, insbesondere wenn sie bereits älter sind und nicht mehr dem neuesten Sicherheitsstandard entsprechen. In solchen Fällen ist es sinnvoll, das Kraftwerk möglichst bald abzuschalten, um Unfälle oder andere negative Auswirkungen zu vermeiden. Die Folgen eines potenziellen Reaktorunglücks machen auch vor Landesgrenzen nicht halt. Es läge daher im Interesse aller, mit Nachbarländern zu kooperieren, um eine sichere und nachhaltige Handhabung der Energieversorgung zu ermöglichen und die Energiewende voranzutreiben.

Was heißt das für die Zukunft?

Die Abschaltung der Atomkraftwerke hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Das Risiko von Reaktorunfällen verringert sich und verhindert die Produktion weiterer radioaktiver Abfälle, die ein sicheres Endlager benötigen (Fun fact: Es ist in Planung, doch ein funktionsfähiges Endlager gibt es bis dato weltweit nicht). Andererseits wird man die Stromversorgung in Deutschland nun entsprechend anpassen müssen, um das Ausbleiben der Kernkraft zu kompensieren. Hier sind wir tatsächlich recht gut aufgestellt – Im Jahr 2021 lag der Anteil der Atomenergie an der deutschen Stromerzeugung bei etwa 11,5 Prozent und ist seitdem stetig weiter gesunken. Fossile Brennstoffe wie Kohle, Erdgas und Öl spielen immer noch eine große Rolle, aber ihr Anteil wird durch den Ausbau der erneuerbaren Energien kontinuierlich reduziert.

Verteilung der öffentlichen Stromerzeugung in Deutschland 2023

Global betrachtet ist Deutschland mit dem Ausstieg ein Vorreiter in der Nutzung erneuerbarer Energien und setzt ein klares Zeichen bei der Bekämpfung des Klimawandels. Allerdings muss auch bedacht werden, dass Länder wie China oder Indien und die meisten Nachbarländer Deutschlands weiterhin auf Atomkraft setzen und der globale Atomausstieg somit noch weit entfernt ist. Länder, die weniger auf erneuerbare Energie gesetzt haben, sind jetzt abhängiger von Atomenergie. Frankreich beispielsweise deckt aktuell noch rund 70% seines gesamten Energiebedarfs mit Kernenergie.

Der Atomausstieg kann als ein wichtiger Schritt hin zu einer nachhaltigeren und sicheren Energieversorgung bewertet werden und hat Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft und die Umwelt. Hier zeigt sich positiv, dass die Politik sich eben auch nach gesellschaftlichem Druck und öffentlicher Meinung richten kann. Auch wenn Nachbarländer nach wie vor Kernenergie nutzen, erhöht sich die Sicherheit durch die Reduktion der aktiven Kernkraftwerke. Deutschland weist als Pionier dieser Entwicklung den Weg und kann in diesem Punkt als Beispiel für die Energiepolitik dienen. Momentan besteht die Herausforderung darin, durch den Ausbau erneuerbarer Energien unabhängiger von ausländischen Energiequellen zu werden und die Versorgungssicherheit auch mit grüner Energie sicherzustellen.

  • https://www.base.bund.de/DE/themen/kt/ausstieg-atomkraft/ausstieg_node.html
  • https://www.bpb.de/themen/asien/china/44343/verbrauch-von-primaerenergie-nach-regionen/
  • https://utopia.de/atomausstieg-strommenge-ersetzbar-kemfert-interview-deutschland-499135/
  • https://utopia.de/news/atomausstieg-im-april-2023-fragen-und-antworten/
  • https://www.bmk.gv.at/themen/klima_umwelt/nuklearpolitik/euratom/eu.html#:~:text=Mit%20rund%20110%20Reaktoren%20ist,KKW)
  • https://www.agora-energiewende.de/veroeffentlichungen/?tx_agorathemen_themenliste%5Bprodukt%5D=2351&cHash=830453da9f15c85df707032041ba3c48
  • https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_090_43312.html
  • https://energy-charts.info/charts/energy_pie/chart.htm?l=de&c=DE&interval=year
  • https://www.bmuv.de/themen/luft-laerm-mobilitaet/verkehr/elektromobilitaet/strombedarf-und-netze
  • https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/greta-thunberg-abschalten-deutscher-akw-waere-fehler,TJxBrKw
  • https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/atomkraft-greta-thunberg-haelt-abschalten-fuer-fehler-18378948.html
Du findest den Artikel spannend? Dann teile ihn doch gerne!
Das könnte dich auch interessieren
SDG 9: Innovation und Infrastruktur für eine nachhaltige Zukunft

SDG 9: Innovation und Infrastruktur für eine nachhaltige Zukunft

Industrie, Innovation und Infrastruktur lautet das Ziel des SDG 9 und befasst sich mit Ideen zu einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Wirtschaft.

Gesundheit und Wohlergehen: Das 3. Nachhaltigkeitsziel der UN

Gesundheit und Wohlergehen: Das 3. Nachhaltigkeitsziel der UN

Die Priorisierung und Förderung von Gesundheit soll durch das 3. Nachhaltigkeitsziel der UN vor allem in Entwicklungsländern durchgesetzt werden. Mehr...