Autos den Raum nehmen: ein kontroverses Unterfangen

August 2023
Fotograf:in: Adrian Williams, Copyright: Unsplash

Die Verkehrswende ist stets ein umstrittenes Thema gewesen. Bereits seit geraumer Zeit wird der Ausbau der Radwege Deutschlands heiß diskutiert, denn in vielen Kalkulationen fordert das Vorhaben Platz ein, der den Straßen dann auf den ersten Blick fehlt.
Um die Situation besser einschätzen zu können, wiegen wir im Folgenden die Pros und Cons ab.

Pro und Kontra

In Anbetracht der brenzligen Lage, in der sich unser Klima befindet, müssen auch im Verkehr früher oder später drastische Veränderungen stattfinden. Die Frage ist lediglich, wo man Abstriche machen will. Mit Sicherheit würde die Verkehrswende profitieren, wenn der Stellenwert von Fahrrädern steigt und Pkws nicht länger bevorzugt werden. Eine erfolgreiche Mobilitätswende, wie sie die Klimaziele vorschreiben, ist nämlich auch von der Neuverteilung der Straßenflächen abhängig. Eine sichere Radinfrastruktur motiviert zudem, aufs Fahrrad umzusteigen, was CO2 und Ressourcen spart.

Die Lebensqualität in Städten könnte optimiert werden, wenn der motorisierte Verkehr etwa eine Fahrbahn oder eine Parkplatzreihe an die Fahrradfahrer und Anwohner abtritt. Auf der neu gewonnenen Fläche können Fahrradwege, Flaniermeilen, Wochenmärkte, grüne Oasen inmitten des Trubels und Spielplätze gestaltet werden, die den Alltag mit mehr Beschäftigungsmöglichkeiten füllen.

Kritiker bemängeln, dass es kontraintuitiv wäre, dem Autoverkehr gerade jetzt, wenn er mehr Platz brauchen könnte, Raum zu nehmen.

Die Difu berichtet…

Die Messungen 30 verschiedener Testläufe des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) in verschiedenen Städten Europas zeigen, dass es sich rentiert, Fußgänger:innen und Fahrradfahrer:innen mehr Raum zu geben.
Entgegen der Erwartung, dass der Verkehr lediglich verlagern und in anderen Straßen stauen würde, geschah das nur in geringem Maße und insgesamt betrachtet nahm das Verkehrsaufkommen letzten Endes um einiges ab.

Dabei unterscheiden sich die Ergebnisse der verschiedenen Projekte voneinander: Bei manchen konnte man eine Reduktion des Verkehrsaufkommens um 69 Prozent vorweisen, bei anderen nur um vier Prozent. Die unterschiedlichen Ergebnisse sind abhängig von der gewählten Strategie: Änderte man die Regelungen nur für einzelne Straßen, erreichte man eine Minderung von vier bis 52 Prozent. Bezogen sich die Änderungen auf ganze Stadtviertel, nahm das Verkehrsaufkommen zwischen 15 und 18 Prozent ab und gestaltete man die gesamte Innenstadt um, so erzielte man eine Herabsetzung von 25 bis 69 Prozent. Die Moral der Geschichte ist also, dass die Anwohner ihre Routine ändern würden, wenn man ihnen die Möglichkeit bietet.

Herangehensweisen und Erfolge verschiedener Städte

Amsterdam, Barcelona, Hamburg – überall in Europa testen Städte Methoden zur Verkehrsberuhigung.

Praxisbeispiel Mailand

Nicht nur das Autofahren, sondern auch das Parken entwickelt sich vielerorts zu einem zusätzlichen Stressfaktor und nimmt einiges an Platz in Anspruch. In Mailand beispielsweise war dies ein großes Problem, die Metropole hatte lange Zeit aufs Äußerste mit Staus und zugeparkten Straßen zu kämpfen. Dort hat man es dann durch die Einführung einer City-Maut und der Errichtung neuer Parkhäuser geschafft, die Situation aufzulockern und Raum für Fahrradwege zu schaffen, da der neu gewonnene Platz auf den Straßen nun für Fahrradwege zur Verfügung steht.

Nicht nur in Mailand hat sich viel verändert – werfen wir doch einmal einen Blick auf einige weitere Länder.

Die Niederlande

Bereits in den 70er-Jahren investierten die Niederlande in eine sichere Infrastruktur für Radfahrer, so behielt der Radverkehr seinen Status bei. Die Ausmaße und Bedeutung der Investitionen lassen sich daran messen, dass bis 2019 29 Prozent mehr Radfahrer auf den Radschnellwegen unterwegs waren.

Möglichkeiten, die in den Niederlanden bereits etabliert wurden, in Nordrhein-Westfalen Anwendung finden und die Verkehrswende vorantreiben, sind Radschnellwege: Sicher und effizient führen sie einen in der Hälfte der Zeit, die man für gewöhnlich brauchen würde, von A nach B. In Nordrhein-Westfalen sind sie formell sogar den Landstraßen gleichgesetzt. Aktuell wird dort der R21 errichtet, der sich über 115 Kilometer von Moers bis Hamm erstrecken soll.

Ottensen, ein Stadtteil Hamburgs

Im September 2019 blockierten die Behörden einige Straßen zentraler Lage. Verkehrszählungen gemäß umgingen einige Autofahrer die Sperrungen und stiegen auf alternative Routen um. Das Verkehrsaufkommen angrenzender Straßen stieg zwischen zwei und 56 Prozent an; vermehrte Staus konnten aber nicht verzeichnet werden. In der zentral gelegenen Straße des verkehrsberuhigten Gebiets wurde 80% weniger motorisierter Verkehr dokumentiert. Alles in allem konnte der Verkehr der Difu-Studie zufolge um 16 bis 28 Prozent verringert werden.

Während zuvor 19 Prozent der Anwohner das Auto verwendeten, waren es zu Zeiten des Testlaufs lediglich 17 Prozent – der Anteil der zu Fuß zurückgelegten Wege stieg um 2 Prozent, von 29 auf 31 Prozent. Angesichts der positiven Reaktionen auf das Pilotprojekt wird der Testlauf unter dem Namen “Freiraum Ottensen” nunmehr optimiert.

Unterdessen in Barcelona

Das Stadtmodell Barcelonas gleicht einem Schachbrett in seinem Grundriss, denn die Metropole setzt sich aus quadratischen Wohnblöcken zusammen. Dort werden jeweils ein paar Blocks zusammengefasst, um dann für einige Zeit in einen verkehrsberuhigten Bereich verwandelt zu werden. Im Falle Barcelonas bedeutet das, dass der Bereich nur für Lieferverkehr und Anwohner zugänglich ist. Die Aufzeichnungen eines Superblocks ergaben, dass der Verkehr innerhalb der verkehrsberuhigten Zone um ganze 82 Prozent gesunken ist – dabei verlagerte sich nur ein Teil des Verkehrs, der Übrige löste sich in Luft auf. Berücksichtigt man die angrenzenden Straßen und den Anteil der Autofahrer, der lediglich seine Routen änderte, so reduzierte sich der Verkehr immerhin noch um 15 Prozent.

Das Konzept der Verkehrsberuhigung kann also funktionieren; jedoch nur, wenn die betroffenen Anwohner dahinterstehen. In Barcelona kam es anfangs oft zu Uneinigkeiten und Widerständen, nicht zuletzt von Geschäftsleuten, die um ihren Umsatz fürchteten. Zu Umsatzeinbrüchen oder Vergleichbarem kam es aber nie, weshalb manche Viertel inzwischen sogar darum konkurrieren, zeitweise Superblocks zu werden.

  • https://taz.de/Studie-zu-Autos-in-der-Stadt/!5945157/
  • https://www.piqd.de/klimawandel/autos-den-platz-nehmen-wirkt
  • https://www.politische-bildung.nrw.de/themen/was-bewegt-nrw/details/fahrrad-vor-auto-sollten-mehr-strassenflaechen-in-fahrradwege-umgewandelt-werden
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