Baubotanik: Architektur und Natur in Harmonie

Oktober 2023
Wurzelgeflechte als Brücke
Wurzelgeflechte als Brücke - Copyright: Wikicommons

Wenn ganze Bereiche in Städten umgebaut werden, müssen häufig Bäume und andere Pflanzen weichen. Ihre Wurzeln nehmen einen erheblichen Teil des Bodens und des Untergrundes ein, weswegen sie in der Regel ausgehoben werden, um Platz zu schaffen für Gebäude, Parkplätze und andere städtische Einrichtungen.
Und das, obwohl es eigentlich auch möglich ist, Pflanzen in die Konzeption von Architektur mit einzubeziehen. Baubotanik ist ein faszinierender Ansatz, der Architektur und Natur miteinander verbindet. Diese innovative Disziplin geht über die herkömmliche Vorstellung von Gebäuden hinaus und nutzt lebende Pflanzen, um eine einzigartige Symbiose zwischen menschlicher Konstruktion und natürlicher Umgebung zu schaffen. Dieser Artikel soll die Grundlagen der Baubotanik, ihre Geschichte, ihre heutige Bedeutung und einige beeindruckende Beispiele dieser nachhaltigen Architektur beleuchten.

Die Grundlagen

“Die Baubotanik nähert sich dem Baum technisch und der Architektur biologisch, dadurch können wir das Verhältnis von Natur und Architektur neu ausloten.”

Ferdinand Ludwig, Professor für Baubotanik, TU München

Natur und Architektur im Einklang
Natur und Architektur im Einklang

Baubotanik, auch als pflanzliche Architektur bekannt, ist ein interdisziplinärer Ansatz, der Architektur, Landschaftsarchitektur und Biologie miteinander verknüpft. Der Begriff wurde an der Universität Stuttgart entwickelt und verbindet lebende und nicht-lebende Elemente. Baubotanik beschreibt den Einsatz von Pflanzen, um Gebäudestrukturen zu schaffen oder zu ergänzen. Im Wesentlichen entstehen diese Gebäude aus Pflanzen, die als tragende Elemente und Gestaltungselemente dienen. Somit können künstliche Bestandteile reduziert werden. Die Idee hinter der Baubotanik ist es, eine umweltfreundliche und nachhaltige Architektur zu fördern. Dabei sollen Pflanzen sich aktiv an der Kohlendioxidabsorption, der Luftreinigung und der Schaffung von Lebensräumen für die Tierwelt beteiligen. Sie ermöglicht es, städtische Gebiete mit mehr Grünflächen zu durchdringen und so das Wohlbefinden der Bewohner zu steigern. Außerdem kann Baubotanik dabei helfen, durch Schatten spendende Pflanzen die Temperatur in Städten zu regulieren.

Geschichte der Baubotanik

Die Lebenden Brücken der Khasi
Die Lebenden Brücken der Khasi

Obwohl Baubotanik in den letzten Jahren vermehrt an Aufmerksamkeit gewonnen hat, ist die Idee dahinter keineswegs neu. Schon seit vielen Generationen nutzen Angehörige der Khasi, ein indigenes Volk Indiens, lebende Brücken, um Schluchten oder Flüsse zu überqueren. Dazu nutzen sie auch heute noch die Wurzeln des sogenannten Gummibaums – auch als Ficus elastica bezeichnet. Zunächst wird ein Setzling dieser Pflanze am Rande einer Schlucht oder eines Flusses eingepflanzt und mit der Zeit bilden sich sogenannte Luftwurzeln. Diese können dann mit Bambusstangen und Stöcken in eine horizontale Lage gebracht und über den Fluss oder den Abgrund geleitet werden. Anschließend werden sie in komplizierten Verflechtungen miteinander verbunden und bilden so eine Lebende Brücke. Diese sind enorm stabil und langlebig, und daher den meisten Konstrukten aus Stahl und Beton überlegen. Sie können über 50 Meter lang und mehrere Jahrhunderte alt werden. Allerdings braucht es natürlich viel Zeit und Arbeit, diese Brücken zu schaffen. Ein Gummibaum ist mit etwa 15 Jahren groß genug, um seine Wurzeln nutzen zu können. Diese Wurzeln müssen anschließend jedes Jahr zur Regenzeit von den Khasi weiter verflochten werden, da zu dieser Jahreszeit die Wurzeln am weichsten und flexibelsten sind. Doch trotz dieses langwierigen Verfahrens liefern die Khasi durch ihre einzigartige Baumethode in Verbindung aus Natur und Architektur den perfekten Beweis, dass die Baubotanik eine Zukunft hat.

Baubotanik der Zukunft

Heute gewinnt die Baubotanik immer mehr an Bedeutung, da sie eine nachhaltige Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels und der Urbanisierung bietet. Diese lebenden Strukturen können in städtischen Umgebungen zur Kühlung beitragen, die Luftqualität verbessern und städtische Grünflächen schaffen, die das Wohlbefinden der Menschen fördern. Gleichzeitig leisten sie einen Beitrag zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes, da die Pflanzen Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen. Darüber hinaus sind Baubotanikprojekte oft von großer ästhetischer Schönheit und können als Kunstwerke betrachtet werden. Sie zeigen, wie Architektur und Natur in Harmonie existieren können.

Beeindruckende Beispiele

2005 wurde ein baubotanischer Steg in Wald-Ruhestetten realisiert. Mehrere Pflanzen der Weidenart Salix viminalis halten in Höhe von 2,5 Metern eine begehbare Fläche, die mit Leitern erreicht werden kann. Die Pflanzen tragen diese Metallplatte und ein Stahlrohr, welches als Handlauf dient. Bereits zu Beginn erwies sich diese Konstruktion als sehr stabil, allerdings stellte sich der enge Pflanzenwuchs als Nachteil dar. Die einzelnen Pflanzen konkurrierten um lebensnotwendige Ressourcen wie beispielsweise den Zugang zu Licht, sodass einige von ihnen abstarben und den Steg potenziell schwächten. 2017 wurde mit einer Verjüngung begonnen, um neue Pflanzen in das System zu integrieren.

Ein Steg, teilweise getragen von Bäumen
Ein Steg, teilweise getragen von Bäumen

In Singapur gibt es das "Supertree Grove" im Gardens by the Bay, ein futuristisches Projekt, bei dem künstliche Baumstrukturen mit lebenden Pflanzen kombiniert wurden, um eine eindrucksvolle Umgebung zu schaffen.

Das Supertree Grove Projekt in Singapur
Das Supertree Grove Projekt in Singapur

Die Baubotanik hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir Architektur und Natur sehen, zu verändern. Sie zeigt, dass die Integration von Pflanzen in Gebäude nicht nur ökologische Vorteile bringt, sondern auch unsere Städte in grünere und lebenswerte Orte verwandeln kann. In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Umweltschutz an erster Stelle stehen sollten, ist Baubotanik zweifellos ein vielversprechender Weg in die Zukunft der Architektur.

  • https://www.youtube.com/watch?v=NzwkvjDlBZc&t=1s
  • https://www.ift-rosenheim.de/nachhaltiges-bauen
  • https://www.arc.ed.tum.de/gtla/forschung/baubotanik/
  • https://biooekonomie.de/nachrichten/neues-aus-der-biooekonomie/indigene-bautechnik-als-vorbild
  • https://biooekonomie.de/akteure/interviews/das-moderne-baumhaus
  • https://biotope-city.net/baubotanik-der-entwurf-einer-lebenden-architektur-2/
  • https://www.ubm-development.com/magazin/neue-wissenschaft-baubotanik/
  • https://www.o-l-a.eu/projekt/baubotanischer-steg/
  • https://www.o-l-a.eu/projekt/baubotanischer-turm/
  • https://www.arte.tv/de/videos/087570-000-A/arte-reportage/
  • https://www.nationalgeographic.de/umwelt/2020/07/von-lebenden-bruecken-und-balkonen-aus-baeumen
  • https://www.gardensbythebay.com.sg/en/things-to-do/attractions/supertree-grove.html
  • https://www.geo.de/natur/naturwunder-erde/nature-trail--singapur_30077688-30168602.html
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