Regenwurm- Revolution: Heimliche Helden der Landwirtschaft?

Dezember 2023
Copyright: Sippakorn Yamkasikorn via pexels.com - CC0

In der Landwirtschaft gibt es einen unsichtbaren Helden, der im Verborgenen arbeitet und dabei eine entscheidende Rolle für die Lebensmittelproduktion spielt. Kaum beachtet und oft übersehen, ist der Regenwurm ein wahres Wunder der Natur, dessen Einfluss auf Äcker und Felder weit über das hinausgeht, was die meisten Menschen vermuten.

Wir werfen einen Blick darauf, was den Regenwurm zu einem unterschätzten Architekt der Landwirtschaft macht und wie wichtig er für die Sicherung unserer Nahrung ist!

Was wissen wir eigentlich über den Regenwurm?

Die faszinierenden Bodenbewohner bevölkern die Erde seit über 200 Millionen Jahren. Auf einem Hektar gesunden Grünlandbodens tummeln sich zwischen einer und drei Millionen dieser unscheinbaren Helden. Die Ermittlung ihrer Anzahl im Boden, auch als Abundanz bezeichnet, erfolgt durch das Austreiben der Tiere mithilfe von Formaldehyd.

In Deutschland sind uns 39 Arten aus der Familie der Lumbricidae bekannt, die darunter berühmteste Art ist der Gemeine Regenwurm (Lumbricus terrestris), welcher bis zu 30 cm lang wird und in vielen Regionen der Welt (z.B. Deutschland) verbreitet ist. Des Weiteren gibt es aber auch den Kompostwurm, den Roten Waldregenwurm, den Blauen Tigerschwanz, den Taubenmistregenwurm und noch viele mehr!

Regenwürmer befinden sich überall dort, wo es feuchte Erde gibt. Verschiedene Arten bevorzugen unterschiedliche Lebensräume. Einige sind in Wäldern zu finden, während andere eher offene Felder oder Gärten bevorzugen. Aber auch in Lehm können sie sich wohlfühlen.
Sie reagieren äußerst sensibel auf Schwankungen der Bodenfeuchtigkeit und sind bei Trockenheit (< 20% Bodenfeuchte) besonders anfällig. Zusätzlich spielt der pH-Wert des Bodens eine zentrale Rolle für ihre Verbreitung, wobei die meisten Arten neutrale bis leicht basische Milieus bevorzugen.

Der Regenwurm ist bekannt für seinen Tunnelbau unter der Erde: Die Lumbricidae bewegen sich bohrend und fressend durch den Boden und hinterlassen dabei bis zu 5 mm dicke Röhren, sogenannte Bioporen.

Tiefgräbende Arten wie der Gemeine Regenwurm (Lumbricus terrestris) können tiefe Gänge in der Erde schaffen, während andere Arten eher oberflächlich graben.

Die Nahrungsaufnahme der Regenwürmer ist nicht zu unterschätzen und erfordert großen Aufwand: Die Erdbewohner müssen täglich mindestens die Hälfte ihres Eigengewichts an Nahrung zu sich nehmen! Dies liegt größtenteils daran, dass sie nur einen Bruchteil an Energie, die in abgestorbener Pflanzensubstanz steckt, verwerten können. Letztendlich vermischt sich der Mageninhalt mit mineralischen Bodenpartikeln und wird ausgeschieden. Mehrmals wiederholt, erzeugt dieser Kreislauf eine 5-11-fache Konzentration der Nährstoffe Stickstoff, Phosphor sowie Kalium im Untergrund, eine Mischung, die enorm zur Bodenfruchtbarkeit beiträgt!

Borsten eines Regenwurms (Lumbricidae)

Der Regenwurm hat keinen Augapfel, aber er reagiert empfindlich auf Licht und zieht sich bei Helligkeit in tiefere Bodenschichten zurück. Sein Körper besteht aus Ringen (Segmenten), die mit Borsten bedeckt sind und ihm Halt beim Graben verschaffen.

Regenwürmer sind Zwitter, was bedeutet, dass jedes Individuum sowohl männliche als auch weibliche Fortpflanzungsorgane hat. Die Paarung erfolgt oberirdisch, und die Eiablage erfolgt im Boden. Mit fortschreitendem Alter wächst der Regenwurm durch regelmäßige Häutungen. Einige Arten können mehrere Jahre leben.

Neue Erkenntnisse: Regenwürmer als heimliche Helden der Weltlandwirtschaft?

Im unsichtbaren Reich unter unseren Füßen spielen Regenwürmer eine entscheidende Rolle als Architekten des Bodens. Obwohl ihr Beitrag zur globalen Landwirtschaft bisher im Verborgenen blieb, hat eine neue Analyse (Steven J. Fonte, Marian Hsieh & Nathaniel D. Mueller, 26.09.23) von Bodeneigenschaften, Ernteerträgen und der Verteilung von Regenwurmpopulationen erstaunliche Ergebnisse ans Licht gebracht.

Die Intensivierung der Landwirtschaft hat im letzten Jahrhundert zweifellos Millionen ernährt, doch der Preis dafür war hoch: Biodiversitätsverlust, Wasserverschmutzung, Klimawandel und mehr. Mit steigendem globalen Nahrungsmittelbedarf wird klar, dass neue, nachhaltigere Ansätze wie die agroökologische Bewirtschaftung dringend gebraucht werden.

Eine Schlüsselrolle bei der agroökologischen Intensivierung spielt das nachhaltige Management von Böden und der allgemeinen Bodengesundheit. Die biologischen Gemeinschaften im Boden bieten ein riesiges Potenzial, die Nahrungsmittelproduktion und zahlreiche andere Ökosystemdienstleistungen zu unterstützen. Besonders hervorzuheben sind hier die Regenwürmer, die als Ökosystemingenieure das Pflanzenwachstum durch Strukturverbesserung, Wasserrückhalt, den organischen Materialkreislauf und die Nährstoffverfügbarkeit beeinflussen.

Die Untergrund-Architekten: So funktioniert’s

Die in seinem Tunnelbau entstehenden Bioporen sind von entscheidender Bedeutung für die Belüftung und Entwässerung des Bodens und begünstigen insbesondere das Wachstum von Pflanzenwurzeln in verdichteter Erde. Böden mit einer hohen Regenwurmbesiedelung können z.B. mehr Wasser aufsaugen und tragen somit aktiv zum präventiven Hochwasserschutz bei.

Der Kreislauf von Fressen, Ausscheiden und der Bildung von Kot führt eine Konzentration der Nährstoffe Stickstoff, Phosphor und Kalium im Boden herbei – ein essenzieller Beitrag zur Bodenfruchtbarkeit. Im Verdauungstrakt der Regenwürmer werden unverdauliche organische und anorganische Substanzen zu festen Ton-Humus-Komplexen verwandelt, die den Boden locker, stabil und erodierungsresistent machen. Ein Effekt, der die Wasseraufnahme fördert und Erosion entgegenwirkt.

Die dezenten Hinterlassenschaften der Regenwürmer – ihre Kothäufchen – setzen Streu im Boden frei und düngen gleichzeitig mit Stickstoff, Phosphor und Kalium. Der unscheinbare Regenwurmkot wird so zum Dünger einer optimierten Bodenstruktur und versorgt auf natürliche Weise Pflanzen und Bodenlebewesen.

Auswirkung auf die globale Landwirtschaft

Regenwürmer beeinflussen in vielfältiger Weise die Produktion von Schlüsselkulturen weltweit: Laut Schätzungen tragen sie zu rund 6,5% der globalen Getreideproduktion (Mais, Reis, Weizen, Gerste) und 2,3% der Hülsenfruchtproduktion bei. Das entspricht einem beeindruckenden jährlichen Gesamtvolumen von über 140 Millionen metrischen Tonnen.

Besonders faszinierend ist der signifikante Einfluss der Regenwürmer auf der globalen Südhalbkugel. In Subsahara-Afrika unterstützen sie stolze 10% der gesamten Getreideproduktion, während Lateinamerika und die Karibik mit 8% ebenfalls von dieser unterirdischen Revolution profitieren.

Der südliche Globus scheint besonders empfänglich für den Einfluss der Regenwürmer zu sein, was mit spezifischen Bodenmerkmalen zusammenhängt: niedriger pH-Wert, hoher Tonanteil und geringere Düngermengen. Diese Faktoren verstärken den Nutzen der Regenwürmer für das Pflanzenwachstum in beeindruckender Weise.

Auch in Europa sowie in Ost- und Südostasien sind die geschätzten Auswirkungen der Regenwurmtätigkeit überdurchschnittlich hoch. Hier tragen Regenwürmer zu beachtlichen 7,4% der Getreidekornproduktion bei.

Resistenz gegen Krankheiten und Förderung des Wachstums

Die unscheinbaren Erdbewohner spielen auch eine entscheidende Rolle bei der Abwehr pflanzlicher Krankheitserreger. Regenwürmer spielen eine Schlüsselrolle bei der Verarbeitung von organischen Materialien. Dies ermöglicht eine effizientere Zufuhr von Nährstoffen zu den Pflanzen. Aktuelle Forschung weist darauf hin, dass Regenwürmer nicht nur passive Erdarbeiter sind. Sie scheinen auch aktiv das Pflanzenwachstum zu fördern, indem sie die Produktion von Wachstumshormonen stimulieren. Darüber hinaus könnte ihre Anwesenheit einen unschätzbaren Beitrag zur Abwehr von pathogenen Bodenkeimen leisten, was zu einer gesteigerten Widerstandsfähigkeit der Pflanzen bis zu 25% führt.

Revolution ohne Chemie?

Regenwürmer sind nicht nur Baumeister des Bodens, sondern auch sensible Anzeiger für den ökologischen Zustand unserer Böden. Eingriffe wie Bodenbearbeitung, Düngung oder Pestizide verändern nicht nur die Lebensbedingungen der Regenwürmer, sondern auch ihre eng miteinander verflochtene Lebensgemeinschaft – ein komplexes Ökosystem, das Aufmerksamkeit und Sorgfalt verdient.

In Regionen, in denen der Einsatz von Chemikalien begrenzt ist, könnten Regenwürmer als unverzichtbare Verbündete für die Landwirtschaft fungieren. Steven Fonte, der Autor dieser wegweisenden Studie, betont die unterschätzte Bedeutung gesunder Böden und appelliert dazu, die Regenwürmer dort zu unterstützen, wo sie bereits ihre vitalen Dienste leisten.

Diese Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf die Agrarwirtschaft und betonen die dringende Notwendigkeit, die Bedeutung von Bodenlebewesen zu erforschen. In einer Zeit, in der chemische Lösungen oft im Vordergrund stehen, könnten Regenwürmer einen entscheidenden Beitrag zu nachhaltigen Agrarzielen leisten.

Schon gewusst? Der World Soil Day (Weltbodentag), findet jedes Jahr am 5. Dezember statt und ist mehr als nur eine Gelegenheit, unsere natürliche Ressource der Erde zu feiern. Erfahrt hier mehr dazu!

Du findest den Artikel spannend? Dann teile ihn doch gerne!
Das könnte dich auch interessieren
Seen schlimmer durch Plastik verschmutzt als Ozeane?

Seen schlimmer durch Plastik verschmutzt als Ozeane?

Eine neue Studie zum Plastikbestand in Seen birgt erschreckende Ergebnisse. Wr geben euch einen Überblick darüber.

Scan4Chem: Eine App gegen besorgniserregende Chemikalien

Scan4Chem: Eine App gegen besorgniserregende Chemikalien

Mit dieser App kannst du deine Einkäufe auf besorgniserregende Chemikalien hin testen.