Es ist der 15. November 2022 und zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit bewegen sich 8 Milliarden Menschen auf unserer Erde. Unfassbar, wenn man bedenkt, dass in der zweiten Jahreshälfte des 18. Jahrhunderts zum ersten Mal eine Milliarde Menschen gezählt wurden. Von diesem Moment an begannen die Zahlen rasant zu steigen: Die Lebensbedingungen haben sich verbessert, die medizinischen Versorgungssysteme wurden weiterentwickelt und die Menschen konnten zunehmend mehr Geld für Erholung und Ernährung aufwenden – all das hat eine höhere Lebenserwartung zur Folge.
Von 1950 bis heute hat sich die Weltbevölkerung dann mehr als verdreifacht. Die Tendenz: steigend. Doch obwohl die absoluten Zahlen nie höher lagen, unterschreitet die Wachstumsrate mit 0,8 Prozent alle zuvor gesammelten Messungen. Die Weltbevölkerung nimmt also in Zahlen immer noch zu, nur geschieht das eben langsamer als früher.
Eine wachsende Weltbevölkerung spiegelt im Grunde genommen positive Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft wider, denn es setzt eine niedrige Kindersterblichkeit, bessere Lebensstandards und eine höhere Lebenserwartung voraus. Die aktuellen Entwicklungen bringen jedoch mehr als nur ein paar Herausforderungen mit sich. Unter anderem steigt die Nachfrage nach Ressourcen – auch Rohstoffe, an denen es ohnehin schon mangelt, wie Wasser, Nahrung und Grund, werden immer weiter ausgebeutet. Die Folgen reichen von Hunger und Armut über politische Konflikte bis hin zu massiven Umweltschäden. Auch die Problematik des Klimawandels scheint an Komplexität zu gewinnen.
Demografischer Wandel als Indiz sozialer Segregation
Die Bevölkerungsentwicklung unterstreicht die Unterschiede von Industrie- und Entwicklungsländern zusätzlich.
Die Geburtenrate in Industrieländern hat bereits vor langer Zeit ihren Wendepunkt erreicht. Länder dieser Art verzeichnen nach und nach ein negatives Bevölkerungswachstum, bereits heute kann man das am Beispiel von Japan beobachten. Industrieländer sind für die Stabilisierung sogar auf Einwanderung angewiesen.
In ärmeren Ländern dagegen verweilen die Geburtenraten auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Der demografische Wandel setzte dort erst viel später ein – mit Beginn der postkolonialen Zeit Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Gesundheitsversorgung konnte nach dem Vorbild der Industrieländern allerdings einfach übernommen werden, somit wurde die Sterberate rasch gesenkt, noch bevor sich der Wandel in der Sozialstruktur entfalten konnte. Die Geburtenrate hat sich aber nicht parallel verändert, was die stetig größer werdende Diskrepanz zwischen Geburten- und Sterberaten erklärt.
Die demografischen Veränderungen erfolgten auch nicht in Symbiose mit der Entwicklung der Wirtschaft. Die sozioökonomischen Umstände wie Sozial- und Rentensysteme und die Stellung der Frau haben sich also im Vergleich zum westlichen "Vorreiter" nicht grundlegend verändert, Kinder werden oftmals noch als Altersvorsorge und als Arbeitskräfte angesehen.
So kommt es, dass 80% der gesamten Menschheit in Entwicklungsländern lebt und dass Länder des globalen Südens mit 95% unbestreitlich am meisten zum Wachstum der Weltbevölkerung beitragen. Mehr als 50% des Wachstums der Weltbevölkerung fällt auf nur neun Länder zurück. In Afrika sind diese Zahlen am höchsten, während die Bevölkerung in Europa ohne Migration bereits schrumpfen würde. Bereits jetzt durchläuft Europa einen Alterungsprozess. Man vermutet, dass der Altersmedian der Weltbevölkerung bis 2050 nicht mehr bei 30, sondern 36 Jahren liegen wird.
Welche Faktoren bestimmen das Bevölkerungswachstum?
Der Geburtenrückgang in Industrieländern ist ein Resultat der Entwicklung hin zur Leistungsgesellschaft und des gesellschaftlichen Wertewandels, der unter anderem mit der veränderten Rolle der Frau einhergeht.
Die Ursachen für die verschiedenen Geburtenraten sind vielseitig, zum einen nimmt die Kindersterblichkeit direkten Einfluss auf die Anzahl der Kinder, die eine Frau bekommt, zum anderen spielen der Status in der Gesellschaft, die finanzielle Situation und der Zugang zu sexueller Aufklärung und sicheren Verhütungsmethoden eine entscheidende Rolle. Ein unkontrolliertes Bevölkerungswachstum deutet jedoch vor allem eines an: Die fehlende Gleichberechtigung der Geschlechter.
Die den Frauen verwehrte Möglichkeit zur sexuellen Selbstbestimmung ist eine zentrale Problematik. Fast jede zweite Schwangerschaft ist ungewollt, so heißt es im Weltbevölkerungsbericht der Vereinten Nationen. In Zahlen sind das 48% der Schwangerschaften und rund 121 Millionen unbeabsichtigte Schwangerschaften im Jahr.
Mehr als 60 Prozent der betroffenen Frauen beenden ihre Schwangerschaft durch Abtreibung, 50 Prozent dieser Schwangerschaftsabbrüche finden unter unsicheren medizinischen Bedingungen statt.
In Krisensituationen, wie dem Krieg in der Ukraine, ist die Versorgung mit Verhütungsmitteln erfahrungsbedingt begrenzt und die Fälle sexueller Übergriffe nehmen zu, weshalb humanitäre Krisen großen Einfluss auf die Zahlen ungewollter Schwangerschaften nehmen können.
Weitere Gründe für unbeabsichtigte Schwangerschaften sind zudem Armut und die daraus resultierende Unterversorgung mit modernen Verhütungsmitteln. Nach Angaben des Weltbevölkerungsberichts von 2022 haben 257 Millionen Mädchen und Frauen keinen sicheren Zugang zu Verhütungsmitteln. Ein beunruhigendes Beispiel ist der Südsudan, dort sind nur sieben Prozent der Frauen"privilegiert" genug, um an Verhütungsmittel zu gelangen.
Ökologische Folgen
Mehr Menschen ergo mehr Ressourcen und Treibhausgasemissionen – die Rechnung ist simpel. Mehr Menschen nehmen zudem mehr Fläche in Anspruch, nicht nur als Wohnfläche, sondern auch für die Landwirtschaft, was zur Rodung gigantischer Waldflächen führt. Das rasante Bevölkerungswachstum strapaziert die Umwelt auch aufgrund des steigenden Abfallaufkommens und der zunehmenden Luftverschmutzung.
Notwendige Reformen
Die wohl größte Problematik ist die Benachteiligung der Frau.
"Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein Menschenrecht und muss allen Mädchen und Frauen gewährt werden. Nur wenn Mädchen und Frauen Entscheidungen über ihre Gesundheit und ihre Lebensplanung selbst treffen können, haben sie eine faire Chance auf soziale und wirtschaftliche Teilhabe. Das ist lebenswichtig für Frauen und Mädchen, aber es macht auch die Gesellschaften insgesamt stärker, nachhaltiger und gerechter.“ – Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze.
Dieses Ziel kann nur durch umfangreiche allgemeine Bildung, sexuelle Aufklärung und eine flächendeckende medizinische Versorgung mit Verhütungsmitteln aber auch der Möglichkeit einer sicheren Abtreibung verwirklicht werden. Eine essentielle Rolle spielt vor allem aber die rechtliche Gleichstellung von Frauen – einmal ganz abgesehen von der kollektiven Akzeptanz der modernen Rollenbilder, die, geprägt von religiösen und veralteten Idealvorstellungen, noch schwieriger zu erreichen scheint.
Auch die Bekämpfung von Armut und Hunger und die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Perspektiven könnten die Geburtenrate senken, wie zahllose Beispiele aus der Geschichte der Industrieländer zeigen. Das Potenzial wirtschaftlicher Entwicklung wird oft vernachlässigt, dabei haben wir dieses Phänomen schon so oft miterlebt. Nicht nur, weil dem in Armut lebenden Teil der Gesellschaft Bildung und damit das Recht zur Selbstbestimmung oft verwehrt bleibt, auch der wirtschaftliche Aufstieg des Landes selbst bringt eine Verlangsamung des Bevölkerungswachstums mit sich, indem sich die allgemeinen Lebensumstände und Wertvorstellungen ändern.
Ein Blick in die Zukunft
Aktuell sieht es so aus, als würde dieser Trend kein Ende finden. Es gibt verschiedene Spekulationen darüber, wie das Bevölkerungswachstum in Zukunft verlaufen wird. Eine Prognose der Earth4All-Forscher:innen sagt voraus, ein Maximum könnte im Jahr 2050 erreicht werden, vorausgesetzt die wirtschaftlichen Entwicklungen verlaufen ohne großartige Veränderungen im Vergleich zu den vergangenen fünf Jahrzehnten. Eine Studie der UN geht davon aus, der Höchststand wird erst 2090 mit 10,42 Milliarden Menschen erreicht werden.
- https://www.bmz.de/de/aktuelles/aktuelle-meldungen/vorstellung-weltbevoelkerungsbericht-2022-106494
- https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/weltbevoelkerung-wachstum-prognose-100.html
- https://www.bpb.de/kurz-knapp/taegliche-dosis-politik/510480/weltbevoelkerungstag-audio/
- https://www.welthungerhilfe.de/informieren/themen/gesunde-ernaehrung-sichern/bevoelkerungswachstum-definition-entwicklung
- https://www.ardalpha.de/wissen/umwelt/nachhaltigkeit/weltbevoelkerung-bevoelkerungswachstum-menschen-erde-welt-110.html
- https://www.tagesschau.de/ausland/weltbevoelkerungsbericht-schwangerschaft-abtreibung-101.html
- https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1717/umfrage/prognose-zur-entwicklung-der-weltbevoelkerung/