"Haltungsform" - was steckt hinter dem Label

21. Juli 2023
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Nach der Aussage eines Ernährungsreporters des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, interessieren sich 89 Prozent der Menschen, für die der Verzehr von tierischen Produkten zum täglichen Genuss gehört, für die Herkunft ebenjener Produkte. Mit der Einführung einheitlicher Siegel auf Verpackungen jeglicher Art soll daher seit 2019 seitens mehrerer großer deutscher Lebensmitteleinzelhändler ein Überblick über die Qualität und Herkunft der Lebensmittel gewährleistet werden. Zu diesen Siegeln gehört unter anderem das Siegel “Haltungsform”, welches Auskunft darüber geben soll, unter welchen Umständen die Tiere aufgezogen wurden. Doch was genau besagt dieses Siegel und wofür stehen die darauf abgebildeten Stufen der Haltungsformen?

Was hat es mit dem Siegel auf sich?

Das “Haltungsform” Siegel wurde in Zusammenarbeit mit der Initiative Tierwohl entwickelt. Das Siegel ist unterteilt in Stufen von 1 bis 4, von denen 1 die niedrigste Haltungsform bezeichnet, die nur die gesetzlich absolut verpflichtenden Mindestanforderungen in Sachen Tierwohl durchsetzt. Stufe 4, auch “Premium”- Stufe genannt, stellt die höchste Haltungsform dar, welche mit diesem Siegel ausgedrückt werden kann.
Jede Stufe ist wiederum in mehrere Kategorien unterteilt, die sich auf den den Tieren zur Verfügung stehenden Platz, deren Haltung, die ihnen gebotene Beschäftigung, ihre Zuchtlinie, die Art der Fütterung, den Standard des Tiergesundheitsmonitorings, und den Prüfrhythmus, in welchem die Haltungsform gemäß ihren Standards geprüft wird, beziehen. Das Siegel gilt für die Haltung von Rindern, Schweinen, Hähnchen, Puten, Pekingenten und Kaninchen, sowie seit neuestem auch Milchvieh.
Doch was genau bedeuten die einzelnen Stufen der Haltung konkret für diese Tiere?

Die Kategorien

Platz:

Je nach Haltungsstufe unterscheidet sich der Anteil an Platz, welcher einem Tier zusteht. So heißt es beispielsweise in der offiziellen Online-Version der Haltungsformen, dass in Stufe 1, gemäß Mindestanfordeungen 39 kg pro Quadratmeter in der Hähnchenhaltung erlaubt sind. Umgerechnet bedeutet das bei einem durchschnittlichen Gewicht eines einzelnen fünf Wochen alten Tieres – was dem Schlachtalter der Tiere in der Mittellangmast entspricht – einem Quadratmeter Platz für 26 Tiere, da die Hähnchen zu diesem Zeitpunkt etwa 1,5 kg wiegen. In der sogenannten Langmast bringt ein 42 Tage altes Hähnchen etwa 2.5 kg auf die Wage, was etwa dem 60-fachen seines Startgewichts nach dem Schlüpfen entspricht. Und auch wenn Hähnchen in der Langmast etwas mehr Platz gewährt werden sollte, so macht es kaum einen Unterschied, da die Tiere dafür umso dicker und schwerer sind. Ein Masthähnchen lebt übrigens nicht länger als höchstens 42 Tage, da es nach diesem Zeitabschnitt aufgrund seines so schnell zunehmenden Gewichtes solch starke körperliche Schäden erdulden müsste, dass es vermutlich nicht einmal bis zur Schlachtung überleben würde. Dies ist besonders der Tatsache geschuldet, dass es bei Tieren in der Langmast auf die Ausprägung der Hähnchenbrust ankommt, die dann jedoch bei zunehmendem Gewicht dazu führt, dass das Hähnchen sein eigenes Gewicht nicht mehr ausbalancieren kann und infolgedessen nach vorne umkippt.
In der Premiumshaltungsstufe 4 sind maximal 21 kg pro Quadratmeter erlaubt, was für 5 Wochen alte Hähnchen mit 1.5 kg genau 15 Tiere pro Quadratmeter bedeutet.


In der Schweinemast stehen einem Tier, das 50-110 kg wiegt, 0,75 Quadratmeter zu. Das optimale Mastendgewicht eines Schweines beträgt etwa 90 bis 96kg bei Kastraten und um die 97kg bei weiblichen Tieren.
Die Premiumstufe 4 erlaubt für ein Schwein, das zwischen 50 und 110kg wiegt, einen Bewegungsfreiraum von etwa 1,5 Quadratmetern pro Tier.

Auch bei der Rindermast hängt der den Tieren zugewiesene Platz stark mit dem Gewicht des Tieres zusammen. So hat ein Tier in Stufe 1 1,5 Quadratmeter Platz im Laufstall, solange es unter 150 kg wiegt – bei einem Gewicht von 150 kg bis 220 kg erhält es 1,7 Quadratmeter PLatz und bei einem Gewicht von über 220kg 1,8 Quadratmeter. In der Premium Haltung Stufe 4 stehen Rindern unter 100 kg 1,5 Quadratmeter zu, Tieren bis 200 kg 2,5 Quadratmeter und Tieren über 200 kg 4 Quadratmeter. Tiere über 400 kg erhalten 5 Quadratmeter Platz.

Haltung:

Auch Pekingenten werden in Haltungsstufen 1 und 2 in Stallhaltung großgezogen, ab Stufe 3 wird den Tieren unter anderem eine Offenstallhaltung geboten oder aber eine Stallhaltung mit ständigem Zugang zu Wintergärten oder Freiflächen. In Stufe 4 muss ihnen neben der Stallhaltung für mindestens die Hälfte ihrer Lebenszeit der Zugang zu einem Freigelände gewährleistet werden und ihre Stellfläche muss überwiegend bewachsen sein.Zusätzlich werden bei der Haltung dieser Tiere in allen 4 Haltungsformen systematisch chirurgische Eingriffe wie das Kürzen von Schnäbeln und Krallen ausdrücklich verboten.

Schweine wachsen in Stufe 1 und 2 ebenfalls in Stallhaltung auf und ab Stufe 3 stehen ihnen zusätzlich zu der Stallhaltung außenklimatische Reize zu, sowie ein Offenfrontstall. In der Premiumstufe wird zusätzlich zu der Stallhaltung ein ständiger Zugang zu einem Auslauf bzw. Freiland Gelände vorausgesetzt.

Auch in der Haltung sämtlicher Rinder wird zunächst auf (Lauf-)stallhaltung gesetzt und ab Stufe 3 wird ihnen der Zugang zu einem Laufhof gewährt, wobei mit etwa 3 Quadratmetern pro Tier gerechnet werden kann. Alternativ ist auch die Laufstallhaltung mit Weidehaltung für etwa 120 Tage möglich, wobei von etwa 6h Auslauf pro Tag auzugehen ist/ ausgegangen werden kann. In Stufe 4 wird ein ständiger Auslauf bei der Laufstallhaltung oder ein regelmäßiger Weidegang gefordert.
Die Anbindehaltung, welche in Stufe 1 noch vollführt wird, findet in Stufe 2 keine Anwendung mehr für Bullen und in Stufen 3 und 4 ist sie gänzlich untersagt.

In der Kaninchenmast leben die Tiere in Stufe 1 in Stallhaltung und Käfighaltung und erst ab Stufe 2 wird die Gruppenhaltung der Tiere eingeführt, mit mindestens 10 Tieren pro Gruppe. Auch 5% Tageslichteinfall sind in Gebäuden, welche nach dem 11.08.2014 erbaut worden sind, Vorraussetzung.
In Stufe 3 und 4 werden jene Haltungsformen durch größere Gruppen erweitert (20 Tiere pro Gruppe in Stufe 3), sowie um geeignete Versteckmöglichkeiten und Auslaufmöglichkeiten. Auch wird in Stufe 3 eine eingestreute Fläche von 0,05 Quadratmetern pro Tier gefordert und ab Stufe 2 werden Drahtböden in der Haltung verboten. Die Platzansprüche bleiben über die Stufen hinweg insofern gleich, als dass die Tiere ab Stufe 2 Platz für mindestens 2 hintereinander folgende Hoppelsprünge haben müssen. In Stufe 4 haben die Tiere Zugang zu Grünflächen.

Beschäftigung:


Sämtliche Tiere in der Vogelmast sollten laut Stufe 1 trockenes Einstreu zum Picken und Scharren zur Verfügung haben. In den späteren Haltungsformen kommen weitere Beschäftigungsmöglichkeiten hinzu wie beispielsweise organisches Beschäftigungsmaterial – 2 Gegenstände je 400 Quadratmeter in Stufe 3 – sowie zusätzliches Einstreu.
Pekingenten soll überdies noch ihrer Natur gemäß Wasser zur Verfügung gestellt werden. Dies beschränkt sich in Haltungsstufe 1 auf Nippeltränken oder Vergleichbares – eine Anzahl an Tränken pro Tier wird nicht genannt. In den darauffolgenden Haltungsstufen wird es den Enten erlaubt ihren Kopf vollständig in das Wasser eintauchen zu können. Bis Haltungsstufe 3 wird eine Tränke pro 250 Tieren gefordert. Erst in Haltungsstufe 4 erlangen die Tiere Zugang zu tatsächlichen Schwimmmöglichkeiten wie etwa einem Teich oder ähnlichem. Dabei ist eine Wasserstelle pro 1.000 Tieren gefordert, welche mindestens 8cm tief sein und eine Fläche von 1,2 Quadratmetern aufweisen muss.

Schweinen wird ab Stufe 1 ein organisches rohfaserreiches Beschäftigungsmaterial zur Verfügung gestellt, wobei auch hier in den darauffolgenden Stufen weiteres Einstreu sowie Beschäftigungsmaterial hinzu kommt. Genaue Angaben zu der Menge des Einstreus oder der Spielzeuge sind nicht gegeben.


Zu Komfort Einrichtungen in der Milchviehhaltung gibt es in Stufe 1 keine Angaben, doch in den späteren Stufen steht den Tieren eine Scheuer-Kratz-Bürste zu. Auch hier werden keine genauen Angaben zu der Anzahl der Bürsten pro Tier gemacht.

Angaben zu Komfort-Einrichtungen oder Beschäftigungsmaterial in der Rindermast gibt es nicht.
Stattdessen gibt es in der Rindermast die zusätzliche Kategorie zur Enthornung der Kälber, sollte diese auf dem eigentlichen Mastbetrieb durchgeführt werden.
Die Enthornung der Kälber erfolgt in Stufen 1-3, solange die Tiere unter sechs Wochen alt sind. In allen drei Haltungsstufen ist die Schmerzlinderung der Tiere vorausgesetzt. In Haltungsstufe 4 wird die Enthornung nur im Ausnahmefall durchgeführt und auch bei Kälbern unter dem Alter von sechs Wochen nur nach der Betäubung durch einen Tierarzt und mit zusätzlicher Schmerzlinderung.

Zuchtlinie:

Sowohl in der Kaninchenmast als auch in der Vogelmast gibt es die Zuchtlinie als zusätzliche Kategorie. In der Kaninchenmast beschränken sich die Angaben hierzu nur darauf, dass grundsätzlich robuste und gesunde Zuchtlinien für die Mast verwendet werden müssen. Gleiche Angaben gelten in der Vogelmast für Hähnchen, Puten und Pekingenten in Haltungsstufe 1 und 2, wobei in Haltungsstufe 2 der Pekingenten zusätzlich das Mindestschlachtalter von 35 Tagen genannt wird (42 Tage in Stufe 3 und 49 Tage in Stufe 4).
In Stufe 3 und 4 der Putenmast und der Hähnchenmast wird außerdem zum Wohl der Tiere auf entweder langsam wachsende Rassen gesetzt oder auf schnell wachsende Rassen bei strikter Einhaltung des Mindestschlachtalters.

Fütterung

Die Fütterung aller Tierarten schreibt in Stufe 1 und 2 die Verwendung von QS-zugelassenen bzw. QS-anerkannten Futtermittel vor. Erst ab Stufe 3 werden gentechnisch veränderte Futtermittel ausgeschlossen. Sowohl in der Schweinemast als auch in der Haltung von Hähnchen und Puten wird ab Stufe 4 zudem vorausgesetzt, dass 20% des verwendeten Futtermittels aus regionalem Anbau stammen muss. Bei Pekingenten sind es 25% aus regionalem Anbau und der Getreideanteil im Entenfutter muss 75% betragen.

In der Kaninchenmast sowie der Rindermast und Milchviehhaltung beträgt der Anteil an regionalen Futterkomponenten mindestens 60%. Außerdem muss in der Rinder-und Milchviehhaltung darauf geachtet werden, dass mindestens 60% der Trockenmasse aus frischem, getrocknetem oder siliertem Raufutter bestehen.

Tiergesundheitsmonitoring:

In der Kategorie des Tiergesundheitsmonitorings stimmen die Voraussetzungen für alle Tiere – außer Kaninchen – überein. In Stufen 1 und 2 sind die Befund-Datenerfassung am Schlachthof, sowie qualifiziertes Antibiotika-Monitoring vorgesehen. Die Ergebnisse fließen in die QS-Datenbank ein. In Stufen 1 und 4 ist die Erfassung in einer zentralen Datenbank festgelegt, welche vergleichbar zu der QS-Datenbank sein soll.
Einzig in der Kaninchenmast heißt es laut offizieller Einsicht in die Haltungsformen für alle 4 Stufen: “In dem jeweiligen Programm muss ein dokumentiertes Tiergesundheitsmonitoring implementiert sein, welches die Befunddatenerfassung am Schlachthof, die Mortalitätsra- ten und den Antibiotikaeinsatz auf dem Betrieb beinhaltet.”

Prüfrhythmus:

Auch was den Prüfrhythmus betrifft, so stimmen alle Betriebe – außer die Kaninchenmast – überein. So ist in Stufe 1 die Kontrolle aller Betriebe durch neutrale Zertifizierungsstellen nach QS Prüfsystematik festgelegt, in Stufe 2 die Kontrolle aller Betriebe durch neutrale Zertifizierungsstellen, nach ITW Prüfsystematik und in Stufe 3 und 4 die jährliche Kontrolle aller Betriebe durch neutrale Zertifizierungsstellen.
In der Kaninchenmast ist die Kontrolle durch eine neutrale Zertifizierungsstelle in Stufe 1 alle drei Jahre vorgesehen und in Stufen 2-4 ist sie einmal jährlich gefordert.

Kritik an dem Label

Auch wenn das Label zur Haltungsform deutlich mehr Transparenz bietet, als es bis vor einigen Jahren noch möglich gewesen wäre, so wird auch Kritik daran geübt – besonders von Verbraucherschützern. So handelt es sich bei dem Label bislang nur um ein freiwilliges Siegel, was bedeutet, dass nur Betriebe, die auch gewillt sind, ein bestimmtes Maß an Transparenz zuzulassen, die Kennzeichnung verwenden. Auch werden bei dem Label besonders Kriterien, die sich auf den psychischen sowie den physischen Gesundheitszustand der Tiere beziehen, fast gänzlich außer Acht gelassen.
Die Angaben des Labels beziehen sich außerdem nur auf die tatsächliche Mast. Das Aufwachsen der Elterntiere, die Aufzucht der Jungtiere und die eigentliche Schlachtung werden nicht berücksichtigt. Verbraucherzentralen zufolge werden außerdem nur die Haltungsstufen 3 und 4 als verbesserte Tierhaltung angesehen. In naher Zukunft möchten sich einige Supermärkte daher nur noch auf den Verkauf von Waren aus Haltungsstufen 3 und 4 beschränken. So möchte der Discounter Aldi beispielsweise ab 2025 kein Fleisch mehr aus Haltungsstufe 1 anbieten und bis 2030 auch keines mehr aus Haltungsstufe 2. Dies soll dem allgemeinen Tierwohl zugutekommen. Leider hapert es jedoch nicht nur an den Entscheidungen der Betriebe. Viel zu viele wirtschaftliche Faktoren spielen eine große Rolle. So müsste Hähnchenfleisch beispielsweise deutlich teurer sein, damit sich eine wahrlich artgerechte Haltung der Tiere lohnen würde.

https://www.haltungsform.de/wp-content/uploads/20221021_ITW_Haltungskriterien_Tabellen.pdf

https://www.morgenpost.de/ratgeber/article236610975/tierwohl-label-haltungsform-siegel-bedeutung-kennzeichnung.html

https://www.lebensmittelverband.de/de/lebensmittel/kennzeichnung/tierwohl

https://www.haltungsform.de/wp-content/uploads/20221021_ITW_Haltungskriterien_Tabellen.pdf

https://www.quarks.de/umwelt/tierwelt/was-du-ueber-das-kurze-leben-eines-haehnchens-wissen-musst/

https://albert-schweitzer-stiftung.de/massentierhaltung/puten

https://www.lfl.bayern.de/mam/cms07/ite/dateien/36201_optimale_mastendgewicht.pdf

https://www.personenwaage-online.de/wie-viel-wiegt/wie-viel-wiegt-eine-kuh/

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