CO2-Kompensation im UN Online-Shop - geht das?

November 2023

Im Onlineshop der Vereinten Nationen kann man für wenig Geld seine CO2-Emissionen ausgleichen.

Umsetzbar ist dies mittels CO2-Kompensation, die genau die gleiche Menge an CO2 reduziert, wie der eigene Konsum an anderer Stelle (wie beispielsweise beim Fliegen mit Lufthansa oder Tanken mit Shell) verursacht. Im Wesentlichen soll dadurch also die eigene Klimabilanz auf Null gebracht werden.
Nachdem man seinen eigenen individuellen, jährlichen CO2-Fußabdruck berechnet hat, kann man sich auf der sogenannten “Carbon offset platform” ein Projekt aussuchen, zu dem man beitragen und seine Klimasünden begleichen möchte, wobei die Preise pro kompensierter Tonne bereits bei einem USD pro Tonne beginnen - also unverhältnismäßig günstig sind.

Doch ist das wirklich so sinnvoll, wie es scheint? Und hilft es tatsächlich dem Klima?

Kann der Kapitalismus uns vor uns selbst retten?

Im amerikanischen Bundesstaat Kalifornien, in Sacramento, lebt Roger Sant, dem man nachsagt, er habe den CO2-Ausgleich erfunden. Sein Ziel: Dass der Kapitalismus uns vor uns selbst rettet.

Im Jahr 1987 leitete Sant einen großen Energiekonzern und plante den Bau eines neuen Kohlekraftwerks. Doch dann erfuhr er vom Treibhausgaseffekt: Die Verbrennung von Kohle in seinen Kraftwerken würde CO2 in die Atmosphäre abgeben. Mit zunehmendem CO2-Gehalt in der Luft würde sich die Erde erwärmen, und es bestand die Sorge, dass sie eines Tages für die Menschheit unbewohnbar werden könnte. Sant erkannte, dass auch er sich mit dem wohl größten Umweltproblem aller Zeiten auseinandersetzen musste.

Eine seiner Mitarbeiterinnen, Sheryl Sturges, hatte die zündende Idee: Sie schlug vor, massenhaft Bäume zu pflanzen, da diese CO2 aus der Luft aufnehmen.
Es ist unklar, ob die Idee damals zum ersten Mal aufkam, aber Sant setzte sie als einer der Ersten in großem Umfang um.
In Guatemala ließ er infolgedessen 52 Millionen Bäume pflanzen, und dadurch wurde sein Kohlekraftwerk das weltweit erste klimaneutrale Kraftwerk.

Die Auswirkungen des Kyoto-Protokolls

Im Jahr 1997, ein Jahrzehnt später, fand die bedeutende Klimakonferenz in Kyoto statt. Vertreter aus verschiedenen Staaten versammelten sich, um über die Zukunft des Planeten zu verhandeln. Die Konferenz war für zehn Tage geplant, doch stark geprägt von Meinungsverschiedenheiten.

Der Hauptstreitpunkt bestand darin, dass die Industrieländer erstmals verbindliche Zusagen zur Begrenzung ihrer Emissionen machen sollten, was in ihnen Bedenken hinsichtlich möglicher wirtschaftlicher Einbußen auslöste.
Letztlich konnten sich die Staaten auf ein Abkommen einigen. Dennoch fügten sie eine Schlupflochklausel in das Abkommen ein, den sogenannten Clean Development Mechanism (CDM). Dieser Mechanismus ermöglichte es den Industriestaaten, einen Teil ihrer Emissionen durch den Kauf von CO2-Zertifikaten aus Klimaprojekten auszugleichen.

Das Besondere daran war, dass diese Projekte nicht in den Industriestaaten lagen, wo die Emissionen hauptsächlich entstanden, sondern in Entwicklungsländern, wo es am kostengünstigsten war, CO2-Einsparungen zu erzielen. Die Erfindung Sants rettete damals also die Klimaverhandlungen und entwickelte sich zu einem milliardenschweren Markt.
Eine scheinbare Win-Win-Situation: In ärmere Länder fließen Unmengen an Geld und die reichen Länder müssen weniger einsparen. Sant hoffte damals darauf, dass die UN einen vertrauenswürdigen Markt errichten würden, was aber anscheinend nicht passiert ist.

Der Anfang vom Ende

Kaum drei Wochen nach dem Beschluss des Kyoto-Protokolls wurde eine indische Chemiefabrik in Ranjitnagar, einem abgelegenen Dorf im Westen Indiens, zur Geldquelle. Diese produziert Kältemittel für Kühlschränke und Klimaanlagen und setzt dabei ein äußerst klimaschädliches Gas frei, HFKW-23, das rund 11.000 Mal schädlicher ist als CO2. Diese Tatsache machte es äußerst wertvoll, da für jede Tonne eingespartes CO2 ein Zertifikat vergeben werden durfte, aber folglich für jede Tonne des aus der Chemiefabrik freigesetzten Gases etwa 11.000 Zertifikate verkauft werden konnten.
Folglich begann die Fabrik, das schädliche Gas zu neutralisieren, anstatt es in die Atmosphäre abzugeben, und verdiente so innerhalb eines Jahres über 60 Millionen Euro.

Es stellte sich infolgedessen also als profitabler heraus, dieses Gas herzustellen, anstatt das eigentliche Kältemittel zu produzieren.
Zahlreiche Chemiefabriken meldeten sich bei den Vereinten Nationen an und begannen, große Mengen klimaschädlicher Gase zu produzieren, nur um sie sofort zu vernichten.

Einige Fabriken wurden sogar ausschließlich zu dem Zweck betrieben, möglichst viele Zertifikate zu generieren. Dies führte dazu, dass diese Praxis keinen positiven Einfluss mehr auf das Klima hatte. Der Trick mit dem HFKW-23-Gas entwickelte sich zu einem Problem von solchem Ausmaß, dass es das gesamte System zu gefährden schien.

Ein Bericht der UN zeigte, dass mehr als die Hälfte aller UN-Zertifikate zwischenzeitlich aus solchen Kältemittelfabriken stammten. Doch das war noch nicht alles. Wie Lambert Schneider vom Öko-Institut in Berlin betonte, gab es "viele weitere Probleme", da das Regelwerk zu viele Schlupflöcher aufwies.


Dies führte schlussendlich dazu, dass sich die Europäische Union letztlich im Jahr 2013 weitestgehend aus dem Handel mit Emissionszertifikaten zurückzog. Diese Entscheidung wurde in der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen, aber bei den Vereinten Nationen löste sie eine Krise aus.
Denn bis zu diesem Zeitpunkt wurden etwa 90 Prozent der Emissionszertifikate in der EU verkauft, und dieser Markt brach auf einen Schlag zusammen. Während dieser Zeit fielen die Preise dramatisch, und es blieben viele günstige Zertifikate übrig, die nur noch schwer Abnehmer fanden.

Die Vereinten Nationen benötigten dringend einen neuen Markt für ihre Zertifikate. Schließlich eröffneten sie im Jahr 2015 ihren "Online-Shop", mit dem man seinen CO2-Fußabdruck ausgleichen konnte.
Weiterhin wurden die Regeln für die Kältemittelfabriken abgeändert, um den Trick mit den HFKW-Gasen zu unterbinden.
Außerdem wurde ein neues Kontrollsystem eingeführt, um sicherzustellen, dass für jedes Zertifikat tatsächlich CO2 eingespart wird. Als die Vereinten Nationen den Shop eröffneten, gaben sie bekannt, jedes Projekt trage zur Reduzierung von Emissionen bei.

Dabei werden die Projekte im Shop nicht eigens von den Vereinten Nationen angeboten, sondern von nationalen Konzernen. Auf der Suche nach dem Verkäufer eines von der UN angebotenen Staudammprojekts, namentlich dem brasilianischen Konzern Carbotrader, und dessen CEO Arthur Moraes, stellte sich heraus, dass das System der UN auf Lügen beruhte und die Investmentanalyse des Projekts nicht beweisen kann, dass die Dämme ausschließlich mit Geld aus Zertifikaten errichtet werden.

Der Trick der Zusätzlichkeit

Der Knackpunkt liegt im Konzept der Zusätzlichkeit: Bei jedem Klimaprojekt stellt sich die Frage, ob es tatsächlich zusätzlich ist oder ob es ohnehin realisiert worden wäre.
Schließlich werden beispielsweise Windräder oder Staudämme nicht nur aus Ausgleichsgründen errichtet, sondern auch, um damit Gewinn zu erzielen.
Logischerweise ist es verführerisch, zusätzliche Emissionszertifikate zu verkaufen, da jedes Unternehmen ein zusätzliches Einkommen gebrauchen kann.
Das große Dilemma: sämtliche Zertifikate, die das Projekt ausstellt, sind dann völlig wertlos.

Im Jahr 2016 untersuchte das Öko-Institut im Auftrag der Europäischen Union, wie viele Klimaprojekte der Vereinten Nationen tatsächlich den “Zusätzlichkeitskriterien” entsprechen.

Das Ergebnis der Studie war verheerend: Bei 85% der analysierten Projekte war die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie entweder wirklich zusätzlich waren oder nicht zu viele Zertifikate produzierten.
Das bedeutet also, dass die meisten Projekte der Vereinten Nationen entweder mehr Zertifikate ausgestellt haben, als sie hätten dürfen, oder, dass all ihre Zertifikate von vornherein wertlos waren, weil die Projekte ohne den Anreiz der Zertifikate ohnehin umgesetzt worden wären und somit nicht wirklich zusätzlich sind. In jedem Fall: es handelt sich um komplett wertlose Zertifikate und ein sinnfreies Klimaprogramm der UN.

Der aktuelle Stand

Ein großer Anteil der unwirksamen Zertifikate ist immer noch auf dem Markt verfügbar, einschließlich im “Online-Shop” der UN. Trotzdem tragen all diese Projekte das UN-Siegel, was äußerst problematisch ist: so wird die gesamte Öffentlichkeit getäuscht.
Trotz wiederholter Anfragen geben die Vereinten Nationen weder eine Stellungnahme zu ihrem Klimashop noch zum brasilianischen Staudammprojekt ab.

Wer selbst dazu beitragen möchte, dass solch eine Verbrauchertäuschung künftig nicht mehr stattfindet, kann hier unterzeichnen!

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