Sauerstoff ohne Licht: Rätsel aus der Tiefsee

21. Oktober 2024
Fotograf:in: Naja Bertolt Jensen, Copyright: CC0 Unsplash

Wenn wir an die Tiefsee denken, stellen wir uns absolute und vollkommene Dunkelheit vor. Kein Umwelt also, in dem wir uns die Produktion von Sauerstoff vorstellen könnten, denn dieser wird normalerweise durch Pflanzen produziert, die Photosynthese betreiben und dafür Licht benötigen.
Wie kann es also sein, dass in über 4000 Metern Tiefe – wo Pflanzen nicht überleben können – Sauerstoff gefunden wurde? Diese Entdeckung in den dunklen Tiefen des Pazifiks wirft neue Fragen über den bisher angenommenen Zusammenhang zwischen Sauerstoffproduktion und Leben auf der Erde auf.

Entstehung des dunklen Sauerstoffs

Bisher gibt es (noch) keine endgültige Erklärung dafür, wie der sogenannte dunkle Sauerstoff entsteht. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass Manganknollen – also Metall- und Mineralienansammlungen, die auf dem Meeresboden vorkommen – damit zusammenhängen. Interessanterweise ist die Sauerstoffkonzentration in der Nähe dieser Knollen, die für die Industrie von Interesse sind, nämlich höher als in anderen Gebieten. Aber warum ist das so?

Eine mögliche Erklärung könnte die Elektrolyse sein – der Prozess, bei dem Wasser durch elektrischen Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird. Die Knollen könnten dabei wie eine Batterie fungieren und so elektrische Ströme sowie die daraus folgende chemische Reaktion auslösen.

Die Studie der SAMS

Ein Forscherteam der Scottish Association for Marine Science (SAMS) hat in einer aktuellen Studie, die in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht wurde, herausgefunden, dass am Meeresboden in einer Tiefe von 4.000 Metern auch ohne Licht Sauerstoff entsteht. Die Wissenschaftler:innen vermuten, dass dies durch die Elektrolyse von Meerwasser passiert.

Auch in den tiefsten Tiefen unserer Ozeane lässt sich Unglaubliches entdecken - so auch der "dark oxygen"

Die Entdeckung wurde in der Clarion-Clipperton-Zone gemacht, wo man Proben des Meeresbodens entnahm, um herauszufinden, wie sich Tiefseebergbau auf die Umwelt auswirken könnte. Dieser Bergbau soll polymetallische Knollen fördern, die wertvolle Metalle wie Mangan, Nickel und Kobalt enthalten. Diese Metalle gewinnen wiederum für die Produktion von Lithium-Ionen-Batterien, die zum Beispiel in Elektroautos und Handys verbaut sind, an immer größerer Bedeutung.
Bei der Untersuchung der entnommenen Proben stellten die Forscher:innen fest, dass die Knollen eine hohe elektrische Ladung haben, was dann die Elektrolyse von Meerwasser auslösen könnte.

Für diese Elektrolyse braucht man auch nur eine Spannung von 1,5 Volt – vergleichbar mit einer gewöhnlichen AA-Batterie. Messungen ergaben, dass einige Knollen eine Spannung von bis zu 0,95 Volt aufwiesen, was darauf hinweist, dass aber auch größere Spannungen möglich sein könnten, wenn viele Knollen an einem Ort zusammengeballt sind.

Da alle bisherigen Studien aus der Tiefsee nur zeigten, dass dort Sauerstoff verbraucht und nicht produziert wird, zweifelten die Forschenden zunächst an ihren Messgeräten, als sie auf die unerwarteten Sauerstoffwerte stießen. Nachdem die Sensoren mehrfach überprüft und kalibriert wurden, wiederholten sich die Messergebnisse aber immer wieder.

Expeditionsleiter Andrew Sweetman meint, dass es notwendig sei, genauer zu erforschen, wie der dunkle Sauerstoff bei der Mineraliengewinnung in der Tiefsee entsteht. Außerdem müsse man herausfinden, welchen Einfluss die Ablagerung von Sedimenten während des Abbaus auf diesen Prozess hat.
Demnach wirft die Entdeckung also auch viele neue Fragen auf. Es sollte sich gut überlegt werden, ob und wie der Abbau dieser knollenartigen Gesteine angegangen werden kann, die ja im Grunde genommen wie Batterien im Fels fungieren.

Kritik an der Studie

Es ist wichtig anzumerken, dass die Ergebnisse der Studie bislang mit Vorsicht zu genießen sind und weiterer Forschung bedürfen.

Vorhersehbar ist es also, dass die Studie auch Kritik findet. Logisch jedoch, dass das kanadische Unternehmen The Metals Company (TMC) - welches teilweise an der Finanzierung der Studie beteiligt war - kritisierte nun die Ergebnisse kritisiert, denn die Erkenntnisse stehen den profitgetriebenen Zielen in Sachen Tiefseebergbau von TMC im Weg.

In einer veröffentlichten Kritik behauptet das Unternehmen, dass Andrew Sweetman und seine Mitautor:innen nicht das gesamte Beweismaterial berücksichtigt hätten. Stattdessen gibt das Unternehmen an, dass der Sauerstoff durch eingeschlossene Luftblasen oder elektrische Leckagen in den Tiefseeapparaturen erklärt werden könnte, die die Forscher:innen benutzt haben.

Aber eines wird erneut klar: Die Tiefsee und ihr Boden sind extrem empfindliche Lebensräume voller Artenvielfalt. Nur ein kleiner Teil dieser riesigen Welt ist bisher erforscht. Eine Ausbeutung der Rohstoffe dort wäre daher ein schwerwiegender Eingriff in eine weitgehend unbekannte Umwelt und würde nicht nur zahlreiche Lebewesen gefährden, sondern auch die Sauerstoffproduktion in der Dunkelheit der Tiefsee.

Rohstoffausbeutung in der Tiefsee würde das Eingreifen in extremst sensible Ökosysteme bedeuten - nein danke!

Was erwartet die Tiefsee in der Zukunft?

Trotz dieser neuen und faszinierenden Untersuchungen zeigen deren Ergebnisse erneut, dass der Tiefseebergbau ein riskantes Unterfangen ist. Sobald die Industrie beginnen sollte, die Manganknollen in der Tiefsee auszubeuten, wird das Ökosystem dadurch stark beeinträchtigt und ihm wird wortwörtlich die Luft zum Atmen genommen.

Obwohl wir mehr über den Weltraum wissen als über unsere eigenen Ozeane, diskutieren die Staaten der ISA (Internationale Meeresbodenbehörde) weiter darüber, wie sie die Tiefsee nutzen wollen. Dabei wird immer deutlicher, wie gravierend die Schäden für die Meeresumwelt wären…

Lust auf mehr?!

  • https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/meere/meeresschutz/dark-oxygen-production-sauerstoff-in-der-tiefsee
  • https://www.helmholtz.de/newsroom/artikel/eine-neue-sauerstoff-quelle-in-der-tiefsee-1/
  • https://www.nature.com/articles/s41561-024-01480-8
  • https://www.bbc.com/news/articles/c728ven2v9eo
  • https://www.science.org/content/article/claim-seafloor-dark-oxygen-faces-doubts
  • https://www.aljazeera.com/news/2024/7/24/what-is-dark-oxygen-found-13000-feet-under-the-sea
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