Im Jahr 2018 sorgte ein medizinischer Vorfall in China weltweit für Aufregung. Der Biophysiker He Jiankui nutzte die Genbearbeitungstechnologie CRISPR/Cas9, um das Erbgut von Zwillingsschwestern zu verändern und sie, vereinfacht ausgedrückt, gegen das HIV-Virus immun zu machen. Der Vater der beiden Mädchen war mit dem Virus infiziert. Für diesen Eingriff und die Veränderung des Erbguts der Babys wurde Jiankui disziplinarisch bestraft und zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt.
Das Verständnis von CRISPR/Cas9 ist oft begrenzt, was die ethischen Diskussionen zu diesem Thema erschwert. Um das Ganze etwas greifbarer zu machen, hat sich das Bild einer "Gen-Schere" durchgesetzt. Diese Technologie könnte in Zukunft nahezu alle genetisch bedingten Krankheiten heilbar machen und sogar das Entstehen bestimmter Erkrankungen verhindern. Die Europäische Union hat bereits die erste Therapie mit dieser Methode genehmigt. Aber was verbirgt sich eigentlich hinter diesem komplexen Konzept? Welche Möglichkeiten bietet es, und wie wird es angewendet?
Die Genschere – was ist das überhaupt?
Die Genschere, bekannt als CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats), hat in der biologischen Forschung in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erregt. Der Zusatz Cas9 steht dabei für CRISPR-associated protein 9.
Doch was steckt eigentlich dahinter? Was ist CRISPR/Cas9, und warum muss es auch eine ethische Diskussion geben?
Die Methode wurde von der französischen Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier entwickelt, die die Max-Planck-Forschungsstelle für Pathogenwissenschaften in Berlin leitet. Im Jahr 2020 erhielt sie für ihre Arbeit den Nobelpreis für Chemie.
CRISPR/Cas ist ein Verfahren, das es erlaubt, die DNA an einer bestimmten Stelle aufzutrennen und gezielt zu verändern. Dabei können einzelne Bausteine der DNA an der Schnittstelle hinzugefügt, entfernt oder modifiziert werden. Diese Methode funktioniert grundsätzlich bei sämtlichen lebenden Organismen und wird bisher unter anderem in der Pflanzen- und Tierzucht sowie in der Biotechnologie angewendet.
In der Pflanzenzucht wird die Genschere beispielsweise genutzt, um spezifische Gene, die für die Blütenfarbe verantwortlich sind, zu bearbeiten oder zu deaktivieren. So können Farbstoffgene in Blumen modifiziert werden, um neue Farbtöne wie Blau oder Lila zu erzeugen, die so in der Natur eigentlich nicht vorkommen.
Das CRISPR/Cas-System basiert dabei auf einem natürlichen Abwehrmechanismus von Bakterien, mit dem diese sich gegen Viren schützen. Wenn ein Virus eindringt, zerschneidet ein bestimmtes Protein (genannt Cas) die DNA des eingedrungenen schädlichen Virus und deaktiviert damit das Virus.
Die entstandenen Bruchstücke werden dann in sich wiederholenden, kurzen Fragmenten in einem speziellen Abschnitt der Bakterien-DNA, genannt CRISPR, gespeichert.
Sollte das Virus erneut angreifen, wird dessen DNA mit der gespeicherten Information verglichen. Stimmt sie überein, zerschneidet das Cas9-Protein die Virus-DNA erneut.
Dieses “programmierbare Gen-Schere“-System wurde so weiterentwickelt, dass es nicht nur in Bakterien funktioniert, sondern in allen lebenden Zellen, also auch in Pflanzen, Tieren und Menschen. Damit lassen sich gezielt Veränderungen an jeder DNA vornehmen, indem man einzelne Abschnitte herausschneidet, austauscht oder neue einfügt.
Funktionsweise in drei Schritten
- 1. Das Ziel finden: Das CRISPR-System nutzt eine spezielle integrierte Ribonukleinsäure (guide-RNA), um die gewünschte Zielsequenz in der DNA zu erkennen. Diese guide-RNA passt also genau zur entsprechenden Stelle in der DNA, die verändert werden soll.
- 2. Schneiden der DNA: Das Cas9-Protein, das mit der CRISPR-RNA gekoppelt ist, schneidet die DNA genau an der vorgegebenen Stelle. Hierbei entsteht ein Bruch im so genannten DNA-Doppelstrang (Doppelstrangbruch).
- 3. Reparatur: Schließlich greift das Reparatursystem der Zelle ein, um den Bruch im Strang zu reparieren. Dies kann auf zwei Arten geschehen: zufällig oder gezielt (abhängig ist dies von den jeweiligen Bedingungen und Werkzeugen sowie der aktuellen Zellzyklusphase des Zellkerns).
- Bei der zufälligen (nicht-homologen) Reparatur werden an der Bruchstelle einzelne DNA-Bausteine entfernt oder fehlerhaft zusammengesetzt, wodurch das Gen nicht mehr korrekt abgelesen werden kann. Das führt dazu, dass das zugehörige Protein nicht mehr gebildet werden kann. Übrigens: Wird keine neue DNA eingebracht, ähnelt der Ablauf der Genschere natürlichen Mutationen, wie sie bei jeder Zellteilung oder durch äußere Einflüsse wie Strahlung auftreten können.
- Bei der gezielten (homologen) Reparatur kann hingegen eine neue oder veränderte DNA-Sequenz (also eine Mutation) eingefügt werden.
Der Unterschied zu anderen Verfahren – schneller, günstiger und präziser
Zwar gibt es schon länger gentechnische Methoden, die Ähnliches leisten, aber Crispr/Cas9 bietet einige entscheidende Vorteile:
Zum einen kann diese Technik das Ziel im Genom viel genauer ansteuern. Das ist gar nicht so einfach, denn dabei müssen aus Milliarden von Basenpaaren die richtigen gefunden werden – bei früheren Gentherapien war das oft eher vom Zufall abhängig.
Außerdem arbeitet Crispr/Cas9 extrem schnell und ist vergleichsweise leicht anzuwenden. Im Gegensatz zu anderen Methoden passieren dabei weniger Fehler, wodurch unerwünschte Veränderungen in der DNA (beispielsweise außerhalb der Zielregion, also “Off-target-Effekte”) deutlich seltener auftreten.
Anwendungsbereiche von CRISPR/CAS9
Die Werkzeuge von CRISPR – die guide-RNA und das Cas-Protein – werden im Labor hergestellt und anschließend in die Zelle eingebracht. Bei Pflanzen erfolgt dies beispielsweise durch die Transformation mit Bakterien. Es gibt aber auch Methoden, bei denen keine DNA eingebracht wird, indem die Proteine und RNA direkt in die Zellen gelangen.
CRISPR/Cas9 ist mittlerweile Standard in der Forschung, um gezielt Gene auszuschalten und so deren Funktion zu untersuchen. Auch in der Tier- und Pflanzenzucht wird diese Methode weltweit genutzt, und in vielen Ländern sind bereits Produkte auf dem Markt.
In Europa jedoch gelten für mit Genome Editing veränderte Organismen nach wie vor die strengen GVO-Regeln. Die EU arbeitet aktuell an neuen Regelungen.
Crispr/Cas9 könnte ein mächtiges Werkzeug im Kampf gegen Erbkrankheiten werden. Diese entstehen oft durch fehlerhafte Genabschnitte. Mit der Gen-Schere ließen sich diese gezielt bearbeiten und die defekten Gene einfach entfernen.
CRISPR – Wundermittel gegen Aids und Malaria?
Wenn gleichzeitig gesunde DNA an die Schnittstelle eingebracht wird, fügt die Zelle diese in den Organismus-eigenen DNA-Strang ein und schließt ihn dann wieder. Dadurch könnten Erbkrankheiten komplett geheilt werden.
Ein Forscherteam hat sogar eine Weiterentwicklung der Crispr-Technologie erarbeitet, die bis zu 89 Prozent der menschlichen Erbkrankheiten heilen könnte.
Im Jahr 2024 wird das Verfahren erstmalig bei zwei genetisch bedingten Bluterkrankungen angewendet: der Sichelzellanämie und der Beta-Thalassämie. Diese sollen mit einem neuen Medikament behandelt werden, welches die Gen-Schere nutzt. Im Dezember 2023 hatten die europäischen Behörden für dieses Unterfangen grünes Licht gegeben. Auch bei anderen Krankheiten bietet die Gen-Schere neue Chancen. Es wird bereits darüber gesprochen, ob Aids heilbar werden könnte. Erste Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse.
Die Crispr-Technologie funktioniert nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren und Pflanzen. Das eröffnet zahlreiche weitere Einsatzmöglichkeiten wie beispielsweise im Kampf gegen Malaria: Mit etwa 200 Millionen Erkrankten pro Jahr ist Malaria die weltweit häufigste Infektionskrankheit, die von Mücken übertragen wird. Eine Forschung des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie zeigt, dass die Übertragung von Malaria stark von der Moskitoart, deren Stoffwechsel und lokalen Umweltbedingungen abhängt. Die Gen-Schere könnte das Erbgut betreffender Moskitos gezielt abändern, um sie unfruchtbar zu machen und so die Krankheit einzudämmen.
Eingriffe ins Erbgut – was sagt die Ethik?
Eingriffe ins Erbgut sind immer eine heikle Angelegenheit. Crispr hat zwar im Vergleich zu älteren Methoden der Gentechnik viele Vorteile – da meistens keine fremde DNA eingefügt wird – trotzdem raten viele Expert:innen, vorsichtig zu sein.
Im Falle genetisch bedingter Blutkrankheiten bedeutet die erfolgsversprechende Therapie für die Patient:innen dennoch einiges an Aufwand:
Bevor die CRISPR-Technologie zum Einsatz kommen kann, ist meist eine Chemotherapie notwendig. Sie zerstört alte oder kranke Zellen, um Platz für die genetisch modifizierten Zellen zu schaffen, und unterdrückt das Immunsystem, damit die veränderten Zellen nicht abgestoßen werden. Trotz dieser Belastungen bietet die Methode neue Hoffnung, da sie die genetischen Ursachen der Krankheit gezielt behandeln kann.
Zudem lässt sich noch nicht komplett ausschließen, dass es bei der CRISPR-Methode unentdeckte Langzeitfolgen geben könnte. Die bisherigen Studien haben Teilnehmende nämlich nur über einen Zeitraum von etwa vier Jahren begleitet, was in medizinischer Hinsicht relativ kurz ist. In diesem Zeitraum wurden zwar keine ernsthaften Nebenwirkungen festgestellt, es muss jedoch genau nachverfolgt werden, ob, und wenn ja, welche Nebenwirkungen in den kommenden fünf bis 15 Jahren auftreten.
Bei anderen genetischen Therapien kam es in mehreren Fällen dazu, dass Leukämie als Folge der Behandlung auftrat. Ob so etwas auch als Folge der neuen CRISPR-Therapie passieren könnte, bleibt abzuwarten. Bislang gibt es dafür jedoch keine Hinweise.
Aus solchen Gründen fordern die Ethikräte in Deutschland, Frankreich und Großbritannien strengere Richtlinien für den Einsatz der Technik. Sie möchten, dass Veränderungen im menschlichen Erbgut stärker von den Behörden überwacht werden, um Missbrauch zu vermeiden.
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- https://www.transgen.de/forschung/2794.gentechnik-crispr-wissenschaft.html
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- https://www.swr.de/wissen/neues-werkzeug-zur-genveraenderung-kann-mehr-als-crispr-100.html
- https://www.tagesschau.de/wissen/forschung/crispr-eu-100.html
- https://www.transgen.de/lexikon/1845.crispr-cas.html
- https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/medizinische-biotechnologie/hintergrund/genomchirurgie-crispr-cas