Tiefseebergbau: Fortschritt oder Umweltsünde in der Arktis?

16. Dezember 2024
Fotograf:in: Nicolas Weldingh, Copyright: CC0 Unsplash

Stell dir vor, in einer der unberührtesten Regionen der Welt, der Arktis, beginnen Maschinen, den Meeresboden in mehreren Kilometern Tiefe aufzubrechen. Was für wertvolle Rohstoffe mögen sich dort unten wohl verbergen, um Norwegen dazu zu bewegen, eines der fragilsten Ökosysteme der Erde zu riskieren?
Während die Regierung den wirtschaftlichen Nutzen in den Fokus rückt, schlagen Umweltschützer:innen und Wissenschaftler:innen Alarm: Sind wir wirklich bereit, das Wohl unseres Planeten und aller seiner Bewohner:innen endgültig für ein paar Kobalt- und Nickelvorkommen zu riskieren?

Januar 2024 – der Startschuss für das Ausbeuten der Tiefsee

Im Januar 2024 hat das norwegische Parlament den Startschuss für den umstrittenen Tiefseebergbau in der Arktis gegeben, denn tief unter der Wasseroberfläche liegen hier wertvolle Rohstoffe.

Auch der pazifische Inselstaat Nauru hat zusammen mit dem kanadischen Unternehmen The Metals Company (TMC) seine Pläne angekündigt, in Tiefen von 4.000 bis 6.000 Metern Manganknollen vom Meeresgrund zu fördern.

Norwegen gehört mit seiner Entscheidung zu den ersten Ländern, die den Abbau von Mineralien auf dem Meeresgrund erlauben. Die Mehrheit im Parlament in Oslo hat zugestimmt, dass ein arktisches Gebiet der Größe Großbritanniens auf dem norwegischen Festlandsockel zwischen Svalbard und der Insel Jan Mayen für die Erforschung und Förderung dieser Bodenschätze freigegeben wird.

Das betroffene Gebiet liegt bis zu drei Kilometer unter dem Meeresspiegel und ist 281.000 Quadratkilometer groß.
Durch vulkanische Aktivitäten hat sich dort eine zerklüftete und stark abwechslungsreiche Kruste gebildet. Die Region besteht aus verschiedenen geologischen Strukturen wie Seebergen, Rücken und Gräben.
Norwegen plant nun, Mineralien wie Magnesium, Mangan, Kobalt, Kupfer, Nickel und Seltene Erden abzubauen. Diese befinden sich in Mangankrusten und in Sulfiden auf den Seebergen und in Sulfidvorkommen, die wiederum rund um aktive, inaktive und erloschene Schwarze Raucher (Hydrothermalquellen) zu finden sind.

Was bedeutet das für die Umwelt?

Metalle, wie jene, die in der Arktis abgebaut werden sollen, sind beispielsweise für den Bau von Windkraftanlagen und Elektroauto-Batterien notwendig. Auch beider Produktion von Smartphones und E-Scootern spielen sie eine entscheidende Rolle.

Da sie unter anderem für klimaschutzförderne Maßnahmen, wie dem Bau von Windrädern oder den Batterien von Elektroautos eingesetzt werden, tragen sie hohes Potential den Kampf gegen den Klimawandel voranzutreiben. Zudem sind sie auch in Krisenzeiten von wichtiger strategischer Bedeutung, da aus ihnen beispielsweise essentielle Maschinenteile gewonnen werden können.

Auch die EU und ihre Partner haben es dementsprechend auf die Metalle abgesehen.

Gleichzeitig sind die Materialien jedoch heftigst umstritten - insbesondere aufgrund ihres Abbau stehen sie bei Umweltschützer:innen und Wissenschaftler:innen unter Kritik:

Seit Jahren lässt sich beobachten, wie das Eis in der Arktis immer weiter schmilzt und die Meeresumwelt zunehmend unter Druck gerät. Doch anstatt wirksame Schutzmaßnahmen zu ergreifen, plant die norwegische Regierung in den Gewässern rund um Spitzbergen mit Tiefseebergbau zu beginnen, was das empfindliche Ökosystem dort zusätzlich belasten würde.

Die Auswirkungen auf den Meeresboden und das fragile Ökosystem der Arktis sind gravierend. Norwegens Vorhaben könnte die Tiefsee unwiederbringlich schädigen. Dabei ist nicht nur das Leben in der Tiefe bedroht, sondern die gesamte Artenvielfalt im arktischen Ozean – vom kleinsten Plankton bis hin zum größten Wal.

Das Vorkommen unzähliger Mineralien macht die Arktis so attraktiv für den Tiefseebergbau

Das einzigartige Leben in der Tiefsee

Lebewesen der Tiefsee haben besondere Eigenschaften, die ihre Lebensweise prägen: Sie wachsen langsam, leben sehr lange, werden spät geschlechtsreif und haben nur wenige Nachkommen. Diese Merkmale machen sie besonders empfindlich gegenüber Veränderungen in ihrer Umgebung.

Die Lebensräume in der Tiefsee zeichnen sich durch ihre hochkomplexen, vielschichtigen und einzigartigen Strukturen aus, die sich gegenseitig beeinflussen sowie unterstützen können. Seefedern, Tiefseeschwämme, Steinkorallen, Seefächer, Filigrankorallen und Schwarze Korallen schaffen beispielsweise gemeinsame Lebensräume für andere Arten und bilden dabei komplexe Unterwasserlandschaften, die zu den sensibelsten marinen Ökosystemen gehören.

Das Ökosystem der Tiefsee ist äußerst fragil und weist hochkomplexe und einzigartige Strukturen auf.

Auch Schwarze Raucher sind seltene und bedrohte Lebensräume, die einzigartige Lebensgemeinschaften beherbergen: Selbst in den In den tieferen Bereichen dieser Hydrothermalquellen gibt es noch chemosynthetische Ökosysteme, in denen Mikroorganismen chemische Energie nutzen, um Nährstoffe zu produzieren, die wiederum von anderen Lebewesen aufgenommen werden.

Die Schwarzen Raucher auf dem AMOR (Arktischer Mittelozeanischer Rücken) sind dabei recht neue Entdeckungen – erst 2023 wurde das System Deep Insight von Forschenden gefunden. Die Hydrotthermalquellen befinden sich in einer Tiefe von 1.000 bis 4.000 Metern und auch wenn es dort kein Sonnenlicht gibt, leben dort überraschend viele Meereslebewesen. Dies macht die Region sowohl für die Wissenschaft als auch ökologisch besonders schützenswert.

Zu der Komplexität und Vielfalt der arktischen Unterwasserwelt tragen außerdem die starken Meeresströmungen und die besondere Unterwassertopografie bei, die den nordischen Meeren ideale Bedingungen für das Wachstum von Phytoplankton im Frühling bieten, was zu einer hohen biologischen Vielfalt führt. Diese Phytoplanktonblüte ist für die Produktion von Biomasse im Meer zuständig und führt somit zu einer großen Menge an Zooplankton, das wiederum als Nahrung für viele dort lebende Arten dient, darunter beispielsweise Heringe und Makrelen. Diese Fische stehen sowohl auf dem Speiseplan größerer Meeresbewohner als auch im Fokus der lokalen Fischerei. Ein Eingriff in das Ökosystem durch den geplanten Tiefseebergbau würde sowohl den Fischern, als auch den Beständen schaden.

Unzählige Fischarten sind in den Tiefen der Arktis beheimatet

Das Gebiet, in dem der Abbau der wertvollen Materialien geplant ist, ist zudem wichtig für viele weltweit bedeutende Seevogelarten, da es auf einer wichtigen Zugroute liegt. Besonders arktische Vogelarten sind stark gefährdet und haben bereits einen besorgniserregenden Rückgang erlebt.

All diese diversen Lebensräume sind durch den geplanten Tiefseebergbaus in Gefahr Der geplante Tiefseebergbau gefährdet jeden einzelnen der genannten Lebensräume.

Zweifelnde Stimmen

Laut dem Norwegischen Institut für Meeresforschung ist es wegen fehlender Grundlagenforschung nicht möglich, die Folgen des geplanten Tiefseebergbaus vollständig einzuschätzen. Angesichts der bereits laufenden Umweltveränderungen, wie steigender Meerestemperaturen und der Versauerung der Ozeane, sollten Entscheidungen stets auf fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem Vorsorgeprinzip basieren.

Aufgrund erheblicher Wissenslücken, was das Meeresleben und die Funktionsweise der Ökosysteme in diesem Gebiet betrifft, werden bisherige Pläne zum Tiefseebergbau jedoch kritisch betrachtet und weitere Forschung dringend nötig.

Was wir bisher wissen, zeigt allerdings sehr deutlich, dass der Tiefseebergbau eine zusätzliche Belastung für die Ozeane darstellen würde, die zu einem Verlust von Artenvielfalt und wichtigen Funktionen im Ökosystem führen könnte – ein Verlust, der über Generationen hinweg irreversibel sein könnte. Diese Bedenken werden bereits von mehr als 800 Meereswissenschaftler:innen und Expert:innen aus der Politik geteilt, und die Zahl der warnenden Stimmen wächst.

Hinter den Expert:innen und Ländern stehen auch große internationale Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen wie WWF, Greenpeace, ClientEarth, PowerShift und die Environmental Justice Foundation. Außerdem haben sich einige bedeutende Unternehmen den Forderungen der NGOs und Länder angeschlossen, den Tiefseebergbau zu stoppen. So erklärten z.B. BMW, Volvo, Samsung und Google bereits 2021, dass sie keine Rohstoffe aus dem Tiefseebergbau beziehen werden.

Zusammenfassung: die relevantesten Auswirkungen des Tiefseebergbaus

Zu den bisher bekannten Folgen des Tiefseebergbaus zählen unter anderem:

  • Direkte Zerstörung von Lebensräumen und Lebewesen am Meeresgrund
  • Veränderung der Bodenbeschaffenheit und ihrer chemischen Zusammensetzung
  • Beeinflussung von Sedimentablagerungen und Nahrungskreisläufen
  • Änderungen der Verfügbarkeit und Vielfalt des Bodens sowie der Wasserströmungen
  • Freisetzung von Sedimentwolken
  • Freisetzung von Giftstoffen und Verunreinigungen durch Abbaumethoden
  • Lärmbelastung
  • Störung durch künstliches Licht
  • Chemikalien, die von Maschinen und Geräten freigesetzt werden
  • Ungewollte Verbreitung von Arten (die durch Ballastwasser oder an den Geräten in andere Gebiete gelangen)

Der Blick in die Zukunft

Die Verhandlungen über die Zukunft des Tiefseebergbaus endeten im Sommer ohne konkrete Ergebnisse. Bei der Sitzung des Rates der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) einigten sich die 36 Mitgliedsstaaten lediglich darauf, bis 2025 ein Regelwerk aufzustellen.

Umso problematischer wird also die Entscheidung der Minderheitsregierung unter dem sozialdemokratischen Premierminister Jonas Gahr Støre betrachtet, die sich im Dezember 2023 mit zwei Oppositionsparteien – der konservativen Høyre und der rechtspopulistischen Fortschrittspartei – darauf geeinigt hatten, den Weg für den Tiefseebergbau zu ebnen.

Möchtest auch du etwas unternehmen, um die Unterwasserwelt der Arktis zu schützen? Dann unterzeichne hier.

Einzelnachweise und Weblinks

Du findest den Artikel spannend? Dann teile ihn doch gerne!
Das könnte dich auch interessieren
Gebrannte Mandeln zuhause machen: Ein köstlicher Selbstversuch

Gebrannte Mandeln zuhause machen: Ein köstlicher Selbstversuch

Rezept: So gelingen dir gebrannte Mandeln wie vom Weihnachtsmarkt.

Tipps gegen Weihnachtsstress

Tipps gegen Weihnachtsstress

Stressfrei durch die Weihnachtszeit - ein paar Tipps, wie ihr Stress zu Weihnachten vermeiden könnt!

Nachhaltige Geschenkverpackungen – Tipps gegen Verpackungsmüll an Weihnachten

Nachhaltige Geschenkverpackungen – Tipps gegen Verpackungsmüll an Weihnachten

Weihnachten ohne unnötigen Verpackungsmüll und zusätzliche Umweltverschmutzung? Ja, das geht. Wir erklären dir, wie du dein Weihnachtsfest ohne überflüssige

Gefährliche Pestizide in Weihnachtsbäumen

Gefährliche Pestizide in Weihnachtsbäumen

Einkaufsratgeber für Christbäume – dieses Jahr ohne Pestizide. Jetzt informieren, bevor es zu spät ist!