Deutschland belegt Platz eins unter den Chemieproduzenten Europas und Platz vier global betrachtet – das ist eine große Verantwortung. Gleichzeitig sind aktualisierte Sicherheitsmaßnahmen in der Chemiebranche aber schon längst überfällig.
Doch beginnen wir erst einmal mit einer allgemeinen Einführung in die Welt der Chemie.
Begriffserklärungen
PMT-Stoffe verfügen über drei Eigenschaften, die sie zu einer großen Bedrohung machen: Die Bezeichnung PMT ergibt sich aus den Anfangsbuchstaben der Worte persistent-mobil-toxisch. Eine echte Herausforderung entsteht vor allem dann, wenn Chemikalien eine Kombination dieser drei Wesenszüge bilden.
Gelangen diese Stoffe nämlich in die Umwelt, so kann dies geradezu desaströse Ausmaße annehmen. Eine von solchen Stoffen ausgehende Kontamination von Gewässern beispielsweise ist verheerend und kann praktisch nicht mehr rückgängig gemacht werden. Das verdanken wir vor allem dem “mobil” in PMT – diese Stoffeigenschaft erlaubt es Chemikalien sowohl natürliche als auch menschengemachte Barrieren im Wasserkreislauf zu durchbrechen. Es kann sie also praktisch nichts davon abbringen, letztlich auch in unserem Trinkwasser zu landen. Selbst unsere Filteranlagen und Trinkwasseraufbereitungssysteme können ihnen kaum etwas anhaben, womit es also fast unmöglich ist, PMTs wieder aus dem Wasserkreislauf zu entfernen. Das “P” in PMT bedeutet, dass die Chemikalien kaum abbaubar sind und aufgrund dessen für eine sehr lange Zeit in der Umwelt verweilen.
Die Stoffe im Nachhinein abzubauen (in Form von UV-Bestrahlung oder Ozonierung) oder zu filtern (durch Aktivkohle oder Membranfiltration) wäre mit enorm hohem technischen und finanziellen Aufwand verbunden – und entsprechend viel Energie kostet das Ganze auch.
PMTs passieren Filteranlagen unentdeckt und sind widerstandsfähig genug, um den Weg bis in unser Trinkwasser zu überstehen. Bisher können wir nur Vermutungen über langfristige Folgen solcher Stoffe anstellen, denn aufgrund der außerordentlichen Mobilität und Persistenz dieser Chemikalien, können die Konsequenzen zeitlich und räumlich versetzt vom Ort der Freisetzung auftreten.
PFAS (per- und polyfluorierte Chemikalien) ist der Überbegriff einer Stoffgruppe, die mehr als 10.000 verschiedene Substanzen umfasst. PFAS sind Industriechemikalien und daher nicht in der Natur anzutreffen. Sie wurden zum ersten Mal in den späten 1940ern hergestellt.
PFAS beinhalten sogenannte kovalente Kohlenstoff-Fluorbindungen, die zu den stärksten chemischen Bindungen der organischen Chemie zählen – sie sind also sehr persistent. Das macht sie zu äußerst langlebigen und gefährlichen Substanzen, weil eine Kontamination von Ökosystemen mit solchen Chemikalien meist irreparabel ist. Aus diesem Grund erhielten sie auch den Titel “Ewigkeitschemikalien”. PFAS reichern sich nicht nur im Eis von Nord- und Südpol, sondern sogar in Organismen an – bei uns Menschen wurden sie z.B. in der Leber nachgewiesen.
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Warum sind Reformen so dringend notwendig?
PFAS, die Chemikalien, von denen es rund 10.000 verschiedene Varianten gibt, können sich selbst in niedrigen Konzentrationen auf den Hormonspiegel von Pflanzen und Tieren auswirken, was deren Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen kann. Solche Chemikalien werden außerdem meist nicht vereinzelt, sondern in Kombination mit anderen Stoffen aufgenommen, wodurch sich ihre Wirkung im schlimmsten Fall addiert. Im Übrigen trägt die Kontamination durch Chemikalien auch ihren Teil zum weltweiten Artensterben bei.
Zusätzlich dazu nimmt die Fähigkeit, CO2 und andere Schadstoffe zu speichern, bei verseuchten Ökosystemen im Wasser und an Land ab, was die Konzentration dieser Substanzen in der Atmosphäre und damit auch die Luftverschmutzung abermals erhöht.
Neue Studien vermitteln den Anschein, dass die von uns Menschen angefertigten Materialien wie Beton, Plastik, Glas und Asphalt all die lebende Biomasse unserer Erde in ihrer Anzahl übersteigen. Wir spielen also mit dem natürlichen Gleichgewicht unseres Planeten, ohne jegliche Kontrolle auf die Chemikalien ausüben zu können, die dadurch in die Umwelt gelangen.
Angaben des Umweltbundesamtes zufolge vervielfachte sich die Produktion von chemischen Substanzen seit 1950 um den Faktor 50.
Die Tendenz? Steigend.
Egal ob Regenjacken, Medikamente oder Zahnseide, es gibt kein Entkommen, denn Chemikalien sind ein fester Bestandteil der heutigen Welt.
Umweltverschmutzung durch chemische Substanzen kann jedoch ernsthafte Folgen wie psychische und körperliche Erkrankungen und sogar vorzeitige Todesfälle nach sich ziehen. Die vier Chemikalien Blei, Cadmium, Asbest und Stickstoff allein tragen die Schuld an zehn Millionen vorzeitigen Todesfällen pro Jahr. In vielen dokumentierten Fällen gingen den Todesfällen schwere Krankheitsverläufe wie Nierenversagen oder Krebs voran. Wie bereits erwähnt, gibt es Rückstände von eventuell gesundheitsschädlichen Chemikalien selbst in unseren Böden und dem Wasser, das wir konsumieren.
Aktuell sind die PMT-Werte in unserem Trinkwasser aufgrund ihrer geringen Konzentration nur sehr selten potenziell gesundheitsschädlich. Im Hinblick auf die Tatsache, dass sich das weltweite Konsumverhalten im Wandel befindet – was die Chemieindustrie aller Voraussicht nach ankurbeln wird – muss jedoch vorausschauend gehandelt werden. Gerade weil derartige chemische Stoffe aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken sind, müssen neue Vorschriften her, die die Umwelt effektiver schützen.
Das ist die Mission der EU-Chemikaliengesetzgebung REACH (Registration, Evaluation, Restriction and Authorisation of Chemicals). Sie ist 2007 in Kraft getreten und regelt die Registrierung, Bewertung, Beschränkung und Zulassung von Chemikalien. Unternehmen, die innerhalb der EU agieren, haben demnach bestimmte Richtlinien zu befolgen und Pflichten zu beachten. Die Herstellung und Verwendung von PMTs muss nämlich genauen Untersuchungen unterzogen werden und strengen Auflagen entsprechen, will man Verseuchungen vermeiden.
REACH umfasst unter anderem Bewertungskriterien, die die Identifikation von PMT-Stoffen in der Industrie einfacher gestalten sollen.
Der zukünftige globale Umgang mit heiklen chemischen Stoffen sollte bei der Weltchemikalienkonferenz besprochen werden.
Die fünfte Weltchemikalienkonferenz
Vom 25. bis zum 29. September tagte in Bonn die fünfte Weltchemikalienkonferenz (ICCM 5). Dieser gingen acht Jahre Präparation voraus. In Anwesenheit von Regierungen, Industrie, NGOs und Wissenschaftler:innen aus mehr als 100 verschiedenen Ländern wurde ein überarbeitetes Rahmenwerk zum Umgang mit potenziell schädlichen Chemikalien festgeschrieben.
Unter anderem einigte man sich auf die Einrichtung eines Fonds, dessen Gelder circa 100 Ländern zur Verfügung stehen sollen, um Chemikalien systematisch einzustufen und zu kennzeichnen. Die Etablierung eines Systems zur Identifikation und Kennzeichnung soll dazu beitragen, dass Arbeiter:innen und Konsument:innen über sämtliche Risiken und Konsequenzen informiert werden.
Deutschland steuerte 20 Millionen Euro bei und auch von der Industrie erwartet man Zuschüsse. Man hofft auch, mit dem Verbot gewisser Substanzen einen Anreiz für die Industrie zu setzen, sodass diese umweltfreundlichere Alternativen entwickelt.
Ein Blick in die Vergangenheit: gescheiterte Anläufe
Schon vor mehr als 20 Jahren, im Jahr 2002, formulierte man auf der Rio+10 Konferenz des Umweltprogramms der Vereinten Nationen in Johannesburg das Ziel, Chemikalien bis 2020 soweit einzuschränken bzw. zu modifizieren, dass die von ihnen ausgehende Gefahr, soweit möglich, minimiert wird. Das Ziel wurde verfehlt.
Eine gute Sache kam dabei jedoch raus, denn so wurde in den kommenden Jahren der “Strategische Ansatz zum Internationalen Chemikalienmanagement (SAICM)” entwickelt. Das Beschlussgremium des SAICM ist die Weltchemikalienkonferenz.
2021 bekannte sich die Europäische Kommission erneut zum Vorsatz von 2002, in dem sogenannten EU-Aktionsplan zur Schadstofffreiheit von Luft, Wasser und Boden wurde diesmal das Jahr 2050 als Grenze gesetzt.
Die Rolle der Chemiebranche in der 2030-Agenda
Reformen im Umgang mit Chemikalien sind auch Voraussetzung dafür, die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs), die 2016 unter der 2030-Agenda in Kraft traten, zu erfüllen.
Das 12. SDG etwa handelt vom nachhaltigen Konsum und Produktion. Da die Chemieindustrie zu den größten Industriebranchen weltweit zählt, spielt auch sie eine entscheidende Rolle auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft. Auch auf SDG 3 nimmt die Chemiebranche Einfluss, denn in diesem Nachhaltigkeitsziel geht es um Gesundheit und Wohlbefinden – man denke an die zahllosen Todesfälle, die auf den unverantwortlichen Umgang mit gewissen Chemikalien zurückzuführen sind. Dasselbe gilt beispielsweise für SDG 6 (Sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen) und SDG 14 (Leben unter Wasser).
- https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_21_2345
- https://www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/chemikalien/eu-chemikalienrecht/reach0
- https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/kommentar-ewigkeitschemikalien-pfas-sind-nur-die-spitze-des-eisbergs/
- https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/mobile-chemikalien-wenn-filter-nichts-mehr-nuetzen
- https://www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien#strap1
- https://www.deutschlandfunk.de/internationale-chemikalienkonferenz-iccm5-bonn-ewigkeitschemikalien-pfas-100.html
- https://www.umweltbundesamt.de/themen/die-weltchemikalienkonferenz-warum-wir-sie-brauchen
- https://www.umweltbundesamt.de/PMT-stoffe
- https://www.umweltbundesamt.de/emergenz-der-pmtvpvm-kriterien
- https://www.bmuv.de/faqs/per-und-polyfluorierte-chemikalien-pfas#