Klimaneutralität erreicht - und jetzt?

April 2023
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Wir schreiben das Jahr 2050. Der Großteil der Länder der Erde hat endlich die langersehnte Klimaneutralität erreicht. Und jetzt ist alles gut, oder? Die große Krise ist abgewendet und die Menschheit kann sich zufrieden und sorglos zurücklehnen, denn alle Probleme sind ja nun beseitigt.

Leider falsch. Betrachtungszeiträume für globale Ereignisse, die kaum über die nächsten 20 Jahre hinausreichen, wie wir es gerne bei unserem eigenen Leben in der westlichen Gesellschaft tun, sind viel zu kurz, um das große Ganze verstehen zu können und die tatsächlichen Konsequenzen des eigenen Handelns abschätzen zu können.

Nach der Klimaneutralität befinden wir uns immer noch mitten in der Krise

Springen wir lediglich 30 Jahre in die Zukunft: Sowohl die EU als auch die USA haben sich dazu verpflichtet, bis dahin klimaneutral zu sein. China will 10 Jahre später, im Jahr 2060, nachziehen. Ob es bei allen Beteiligten letztlich doch etwas später werden könnte, bleibt abzuwarten.

Man möchte also meinen, dass diese ambitionierten Ziele bedeuten, dass die Welt klimatechnisch in der zweiten Jahrhunderthälfte wieder in Ordnung sein wird bzw. mit jedem weiteren verstrichenen Jahr besser werden wird. Die Wahrheit sieht jedoch leider anders aus.

Wie lange lebt eigentlich ein CO2-Molekül?

CO2 macht in etwa 80% der Treibhausgas-Emissionen aus

Wie lange bleibt CO2 eigentlich durchschnittlich in der Atmosphäre? Oder – wie lange hat unser vergangenes Handeln noch fortlaufende Auswirkungen, nachdem man es geschafft hat, kein neues CO2 mehr auszustoßen?

Rechnungen zufolge, wird selbst nach 1000 Jahren noch mehr CO2 in der Atmosphäre sein als zu vorindustriellen Zeiten. Zwar würde kurz nach dem CO2-Emmissionsstopp die Konzentration erstmal schneller abnehmen: Nach 50 Jahren sollen es 25% weniger sein, nach 100 Jahren 60%. Doch danach gerät das Ganze ins Stocken: Abgebaut wird das überschüssige CO2 nämlich durch die Aufnahme der Natur. Logischerweise ist diese aufnehmbare Menge an CO2-Molekülen jedoch begrenzt und nimmt mit der Zeit und zunehmendem “CO2-Druck” ab.

Das entspricht nicht ganz dem menschlichen Zeitgefühl. Globale Effekte brauchen um einiges länger, um ihre Auswirkungen bemerkbar entfalten zu können. Das ist auch der Grund, warum der Klimawandel erst in den letzten Jahren zum Problem Nr.1 geworden ist, obwohl die Menschheit seit fast 200 Jahren bereits vermehrt CO2 freisetzt.

DAC

Nachhelfen könnte man diesem natürlichen Prozess mit dem sog. „Direct Air Capture“ Verfahren.
Bei diesem wird das schädliche CO2 wie mit einem riesigen Staubsauger von Ventilatoren aus der Luft angesaugt und strömt im Anschluss durch ein hochselektives Filtermaterial, einen “Abscheider”, an dem die CO2-Moleküle haften bleiben.

Sind die Filter vollständig gesättigt, werden sie durch Geothermiekraftwerke auf 100°C erhitzt. Das Endprodukt – konzentriertes Kohlendioxid – kann dann als reines Gas aus dem Filter abgeleitet werden und klimaneutral verstaut werden (beispielweise in der Erde) oder sogar weiter genutzt werden, zum Beispiel als Dünger für Treibhäuser oder Kohlensäure für Getränkehersteller.

Die gefilterte, CO2-arme Luft wird wieder an die Außenwelt abgegeben.
Bei der Speicherung in der Erde wird das CO2 mit Wasser vermischt und tief in die Erde gepumpt. Das dort vorhandene Basaltgestein reagiert mit dem Kohlenstoff durch natürliche Mineralisierung und versteinert innerhalb weniger Jahre.

2017 betrug der CO2-Gesamtausstoß Deutschlands 800 Megatonnen

Ein Beispiel dieses Verfahrens gibt es auf Island seit 2021 mit einer DAC-Anlage namens “Orca” des Unternehmens Climeworks. Es ist die größte kommerzielle Anlage der Welt, bestehend aus einem Wellblechbau, der von vier Paneelen umgeben ist. Jedes von diesen ist mit zwei Behältern für jeweils sechs CO2-Sammelkammern ausgestattet.

Die nächste Anlage Climeworks soll noch einmal größer werden: „Mammoth“ soll mit mehr Modulen ausgestattet sein und jährlich 36.000 Tonnen CO2 abscheiden.

Gebaut werden können DAC-Anlagen theoretisch überall dort, wo Erneuerbare Energien für den Erhitzungsprozess (s.o.) verfügbar sowie die Möglichkeit geologischer Kohlenstoffdioxid-Speicherung gegeben ist.

Wäre da nicht der hohe Kosten- und Energiepunkt: Eine Tonne CO2, die aus der Luft gefiltert wurde, kostet in etwa 500 USD.

Außerdem stellt sich die Frage, wer diese Kosten trägt: Unternehmen, die für die Freisetzung von CO2 in den letzten Jahrzehnten verantwortlich sind? Steuergelder der Bürger? Staaten? Privatunternehmen?
Rund 18,6 Billionen Dollar würde es kosten, lediglich das CO2 aus dem Jahr 2021 mittels DAC-Anlagen aus er Luft zu beseitigen.
Zur Veranschaulichung: 2022 betrug der gesamte Haushalt der UNO gerade einmal 3,25 Milliarden USD.

Die zentrale Rolle der Ozeane nach erreichter Klimaneutralität

Die Weltmeere, die zu 71% die Erde bedecken und uns bisher unerwartet viel Zeit in der Klimakrise durch ihre Funktion als CO2-Senke verschafft haben, werden sich ab einer angenommenen Klimaneutralität als Gegenspieler entpuppen.

Denn selbst wenn wir alle Klimaziele erreichen und es schaffen würden, uns den 280 ppm vorindustrieller Zeiten anzunähern, würde die Erdtemperatur in den nächsten Jahrzehnten trotzdem kaum sinken.
Prognosen zufolge würde sie (je nach erreichter Erderwärmung) nur um ca. 0,2°C in 100 Jahren fallen.
Das PIK (Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung) führte zu dieser Thematik mehrere Simulationen durch, wobei in keiner einzigen die Erderwärmung parallel zur CO2-Reduktion abfällt. Ganz im Gegenteil: In manchen stieg die Erderwärmung sogar stark an, obwohl an und für sich kein neues CO2 freigesetzt wurde.

Der Grund dafür ist die Rolle der Ozeane im Klimawandel: Diese haben in den letzten Jahrzehnten den größten Teil der zusätzlichen Wärmeenergie aufgenommen. Von 1971 an waren es mehr als 90%.

Die Weltmeere - Senke für menschengemachtes Kohlendioxid

Der Pro-Kopf-CO2-Ausstoß Deutschlands lag im Jahr 2017 bei 6,9t

Die Ozeane des blauen Planeten speichern 50 mal mehr CO2 als die Atmosphäre. Bislang wurden 25% der durch menschliche Aktivität verursachten CO2-Emissionen durch die Weltmeere aufgenommen.
Zwischen den Jahren 1994 und 2007 waren das in etwa 124 Milliarden Tonnen Kohlendioxid!
Die Aufnahme erfolgt dabei in zwei Schritten: Zuerst löst sich das CO2 im Oberflächen-Wasser. Im Anschluss befördern Meeresströmungen und Mischungsprozesse das gelöste Kohlendioxid von der Wasseroberfläche tief in die Ozeanbecken, wo es sich dann über die Zeit anreichert. Diese sog. Umwälzpumpe ist der Motor hinter der äußerst wichtigen Kohlenstoffsenke im Ozean.

Aufgrund ihrer enormen Kapazität, Wärme aufzunehmen, stellen die Weltmeere einen gigantischen Wärmespeicher dar, der Grund dafür ist, dass sich das Klima nicht so schnell erwärmt hat, wie es den Unmengen an ausgestoßenen Treibhausgasen zufolge eigentlich hätte tun müssen.

Diese Funktion als „Klimawandelverlangsamer“ wendet sich ab der Klimaneutralität jedoch ins Gegenteil. Die Ozeane verzögern das Absinken der Erdtemperatur. Diese wird Jahrhundertelang konstant hoch bleiben, eine Rückkehr zum vorindustriellen Stand wird auch nach Tausenden von Jahren nicht erreicht werden.
Technische Hilfsmittel wie die DAC-Anlagen für die Luft, gibt es leider keine. Für solche Ozean-kühlenden Geräte bräuchte es unvorstellbar viel Strom, diese müssten nämlich die Temperatur von 1386 Trillionen Liter Wasser senken.

Noch ist nicht alles verloren, nur sollten wir uns schnell von der Vorstellung verabschieden, dass nach der Klimaneutralität die Erdtemperatur im Nu wieder abfallen wird. Stattdessen werden die Temperaturen, die global bei einer erreichten Klimaneutralität vorherrschen, abzüglich ein paar Zehntelgrad auch die Temperaturen sein, die die nächsten Jahrtausende vorherrschen werden.

All dies bedeutet für uns im Hier und Jetzt, dass unsere Anstrengungen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, sofort und mit aller Kraft gesteigert werden sollten - Ein Krisenmodus, der unverzügliche Handlungsbereitschaft erfordert!

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